Homicide
immer noch im blaugrauen Schein des Fernsehers sitzt.
»Ich wollte Ihnen nur mal eben zeigen, was wir mitnehmen. Damit es später keine Probleme gibt.«
»Was ist das?«
»Das hier sind Messer«, erwidert Garvey, »und das hier in der Schale sind Pistolenkugeln.«
Die Frau betrachtet den Inhalt der Plastikschale, wirft einen kurzen Blick auf die gedrungenen Bleiklumpen jener Art, wie sie keine zehn Blocks weiter benutzt wurden, um den getrennt von ihr lebenden Ehemann, den Vater ihrer Kinder, zu ermorden. Derselbe Kugeltyp, mit dem die Mutter zweier Kinder in einem Haus gleich um die Ecke getötet wurde.
»Sie nehmen das alles mit?«
»Ja, Ma’am.«
»Warum?«
»Als Beweis.«
»Von mir aus«, sagt die Frau und wendet ihre Aufmerksamkeit wieder dem Fernseher zu, »aber er kriegt’s wieder zurück, oder?«
Der Durchsuchungsbefehls für die Booker-Wohnung hat Garveyauf Armeslänge in die Position gebracht, zwei rote Morde auf D’Addarios Seite der Tafel in schwarze zu verwandeln, doch so absurd es klingt, Vincent Booker ist – wenn er seine Karten richtig ausspielt – nicht mehr das Ziel der letzten siebzehn Tage der Ermittlungstätigkeit. Er ist sogar das schwächste Glied in Robert Fraziers zusammengeschusterter Geschichte.
Die Hälfte der Strecke haben sie durch Fleißarbeit geschafft: Garvey und Kincaid haben jedes Detail von Fraziers Aussage geprüft und dabei unter anderem festgestellt, dass das Alibi mit der Dinnerparty nicht viel taugt. Fraziers zweite Freundin Denise, die Gastgeberin des Abends, war nicht im Geringsten bereit, für ihren Lover die Sache bis zum Ende durchzuziehen; bereitwillig erzählte sie, am Abend des Mordes habe Frazier nach einem Streit vor elf Uhr ihre Wohnung verlassen. Außerdem sagte sie, Vincent Booker sei nicht einmal, sondern zweimal vorbeigekommen; beim zweiten Mal sei Frazier mit dem Jungen weggegangen und erst am Morgen zurückgekehrt. Denise konnte sich noch daran erinnern, weil sie in jener Nacht, verärgert über die Party, allein geschlafen habe. Sie hatte den Abend eine Woche lang vorbereitet, Hummer, Blaukrabben aus der Chesapeake Bay und Maiskolben gekauft. Frazier hatte ihr den Abend verdorben.
Denise räumte sogar freiwillig ein, dass Frazier seinen 38er-Revolver in ihrer Wohnung in der Amity Street lagere, und versetzte die Detectives regelrecht in Schrecken, indem sie erwähnte, sie verstecke die geladene Waffe in der Spielzeugkiste ihrer Kinder. Die Pistole sei aber im Moment nicht da. Frazier habe sie vor einer Woche abgeholt und gesagt, er habe Angst, dass sie Schiss bekommen und sie bei der Polizei abliefern könnte.
Die Detectives erfuhren auch, dass Frazier am Morgen nach dem Mord nicht zur Arbeit bei Sparrows Point erschienen war, obwohl er behauptet hatte, er habe sich nicht die Mühe gemacht, in Lenas Wohnung zu gehen, deren Tür aufstand, weil er an diesem Morgen schon so spät dran gewesen sei und zur Arbeit musste. Außerdem hatte Frazier sich nicht an sein Versprechen gehalten, seine 38er ins Präsidium zu bringen. Garvey fragte sich, warum Frazier überhaupt erwähnt hatte, dass er solch einen Revolver besaß, oder warum er überhaupt der Polizei eine Geschichte aufgetischt hatte. Quizfrage: Sie haben gerade zweiMenschen umgebracht, und es gibt keinerlei Beweismaterial und auch keine Zeugen, die Sie unmittelbar mit dem Verbrechen in Zusammenhang bringen könnten. (A) Halten Sie den Mund oder (B) gehen Sie zum Morddezernat und reiten sich durch Lügen rein?
»Es gibt nur eine Antwort«, überlegte Garvey, während er den Durchsuchungsbefehl für Vincent Bookers Wohnung tippte, »Verbrechen führen zur Verblödung.«
Am Tag des Mords hatte eine sechzehnjährige Schülerin in dem Haus neben dem von Lena Lucas am späten Abend aus dem Fenster im zweiten Stock gestarrt und zugeschaut, wie die Autos auf der Gilmor Street immer weniger wurden. Gegen 23 Uhr 15 – sie war sich sicher, weil sie ein paar Minuten zuvor die Lokalnachrichten im Fernsehen geschaut hatte – hatte sie Lena und einen großen, dunkelhäutigen Mann mit einer Schirmmütze aus einem roten Sportwagen steigen sehen, der auf der gegenüberliegenden Seite parkte. Die beiden seien auf Lenas Haus zugegangen. Viel mehr konnte das Mädchen wegen des Blickwinkels nicht sehen, aber sie habe gehört, wie Lenas Eingangstür geschlossen wurde, und eine Stunde später habe sie durch die gemeinsame Wand der beiden Häuser einen Streit zwischen einem Mann und einer Frau mitbekommen. Es
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