Homicide
ein Firmenangestellter: dunkelblauer Anzug, blaues Hemd, Krawatte mit roten und blauen Streifen der Republikaner, gut gewienerte Markenschuhe – ein Ensemble, das durch eine dunkelbraune Aktentasche voller Papiere und Berichte vervollständigt wird, die er ständig zwischen seiner Wohnung und dem Büro hin und her trägt. Gediegen und unauffällig kleidet dieses Outfit eine hochgewachsene, aber wohlproportionierte Gestalt, die auf den ersten Blick genauso alltäglich wirkt wie ihre Garderobe. Wie der Körper, so ist auch das Gesicht des Detective lang und schmal. Er trägt einen akkurat geschnittenen Schnurrbart, hat eine hohe Stirn und sorgfältig gekämmtes, bereits etwas gelichtetes schwarzes Haar.
Abgesehen von der kleinen Ausbuchtung durch den 38er über seiner Hüfte könnte Garvey glatt für einen Verkaufsleiter durchgehen und wenn er seinen blauen Nadelstreifenanzug ausführt, sogar für den Vizepräsidenten eines Marketingunternehmens. Bei der ersten Begegnung mag ein unbedarfter Besucher des Morddezernats Garvey durchaus für jemanden aus der Planungs- und Forschungsabteilung halten, für eine mittlere Führungskraft, die gleich Diagramme und Vierteljahresprognosen aus seiner Aktentasche zaubern und erklären wird, dass Fälle häuslicher Gewalt und Raubüberfälle abnehmen, im letzten Quartal die Drogenkriminalität aber weiter ansteigen wird. Dieses Bild würde natürlich in dem Augenblick in nichts zerfallen, da unser Meister Proper den Mund aufmacht und redet wie jeder normale Bulle. Wie nahezu allen Detectives des Dezernats sprudelt auch Garvey ständig eine Kaskade von Schimpfwörtern über die Lippen, die vor dem Hintergrund von Gewalt und Aussichtslosigkeit wie eine skurrile Poesie erscheint.
»Wo bleiben diese Scheißuniformierten?«, sagt Garvey, schiebt die Brille wieder hoch und schaut die Calhoun hinauf und hinunter. »Ich habe keine Lust, den ganzen Tag damit zuzubringen, dieses Drecksloch hochzunehmen.«
»Klang ja, als hättest du diesen Idioten erst aufwecken müssen«, sagt Kincaid. »Jetzt versucht er wahrscheinlich, ’nen anderen Wichser wachzuküssen.«
»Tja«, meint Garvey, »ein guter Polizist friert eben nie, wird nie müde, hat nie Hunger und macht sich nie in die Hosen.«
Das Credo des Streifenpolizisten. Kincaid lacht, stößt die Beifahrertürauf, schiebt sich hinaus und vertritt sich auf dem Gehsteig die Beine. Es vergehen noch zwei Minuten, bis eine Funkstreife, dann noch eine und schließlich eine dritte hinter dem Cavalier halten. Drei Uniformierte gehen zur Straßenecke und konferieren kurz mit den Detectives.
»Weiß jemand, wo eure Drogenleute heute sind?«, fragt Garvey. Falls bei der Razzia Drogen gefunden werden, wäre es hilfreich, die Leute vom Drogendezernat dabeizuhaben, aus dem einfachen, egoistischen Grund, dass es immer ein Riesenaufwand ist, der Beweismittelkontrolle Drogen vorzulegen, selbst bei kleinen Mengen.
»Die Zentrale sagt, es gibt keine«, erklärt einer der Streifenpolizisten, die als Erste an der Kreuzung eintrafen. »Erst in ’ner Stunde oder so.«
»Na gut, scheiß drauf«, sagt Garvey. »Aber das heißt, dass einer von uns hier das Zeug vorlegen muss, falls wir hier was finden.«
»Dann finden wir eben nichts«, meint der Kollege des ersten Polizisten am Ort.
»Hm, wenn was da ist, will ich’s auch mitnehmen, nur um etwas gegen den Typen in der Hand zu haben«, erwidert Garvey. »Normalerweise wär es mir egal …«
»Ich nehm den Stoff mit«, sagt der zweite Streifenpolizist. »Ich muss sowieso ins Präsidium.«
»Du bist echt ein Goldstück«, sagt ein dritter Uniformierter lächelnd, »das muss man wirklich mal sagen.«
»Welches Haus ist es denn?«, fragt der erste Polizist.
»Das fünfte stadteinwärts. Nordseite.«
»Die 37?«
»Ja, da wohnt eine Familie. Mutter, Tochter und ein junger Kerl namens Vincent. Er ist der Einzige, der vielleicht Ärger macht.«
»Wird er verhaftet?«
»Nein, aber wenn er da ist, muss er aufs Präsidium. Wir sind hier auf Razzia.«
»Okay.«
»Wer übernimmt die Rückseite des Hauses?«
»Ich.«
»Gut, dann gehen Sie beide mit uns durch die Vordertür.«
»Mmm.«
»Na, dann mal los.«
Schon sind die Polizisten vom District wieder in ihren Autos und fahren um die Ecke und auf die Fayette. Der erste Wagen fährt um den Block auf das Gelände hinter den Häusern; die drei anderen Wagen, der Cavalier in der Mitte, kommen mit quietschenden Reifen vor der Treppe zum Stehen. Garvey und
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