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Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
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zweite Runde. Kincaid setzt sich dem Jungen gegenüber an das Kopfende des Tisches, Garvey zwischen die beiden, aber näher zu Vincent.
    »So, mein Junge, jetzt sag ich dir mal was«, beginnt Garvey in einem Ton, als wäre das Verhör bereits beendet. »Du hast hier nur einen Versuch. Du kannst uns sagen, was du über diese Morde weißt, und dann werden wir sehen, was wir für dich tun können. Ich weiß, dass du irgendwie mit drinhängst, wenn auch nicht genau wie, und du musst dir überlegen, ob du Zeuge oder Angeklagter sein willst.«
    Vincent schweigt.
    »Hörst du mir zu, Vincent? Besser, du denkst über jedes einzelne Wort nach, das ich hier sage, die Kacke ist nämlich ganz schön am Dampfen.«
    Schweigen.
    »Machst du dir Sorgen wegen Frazier? Hör mir zu, mein Sohn, besser du fängst an, dir um dich selbst Sorgen zu machen. Frazier war bereits hier. Er versucht, dich reinzulegen. Er hat uns von dir erzählt.«
    Das funktioniert. Vincent blickt auf. »Was hat Frazier gesagt?«
    »Was glaubst du wohl?«, fragt ihn Kincaid. »Er versucht, dir die Morde anzuhängen.«
    »Ich habe aber niemanden …«
    »Vincent, ich glaube diesem Arschloch Frazier nicht«, sagt Garvey. »Selbst wenn du irgendwas damit zu tun hast, glaube ich nicht, dass du deinen Vater umgebracht hast.«
    Garvey rückt seinen Stuhl näher zu Vincent und spricht jetzt ganz leise, fast flüsternd. »Sieh mal, mein Junge, ich versuche nur, dir hier eine Chance zu geben. Aber du musst uns jetzt die Wahrheit sagen, dann werden wir sehen, was wir tun können. Du kannst auf der Anklagebank sitzen oder neben dem Staatsanwalt. Da können wir durchaus was machen. Ab und zu tun wir jemandem einen Gefallen, und in diesem Moment könnten wir dir einen tun. Du bist doch ein schlauer Junge, das kapierst du doch?«
    Wahrscheinlich nicht, denkt Garvey. Und so erklären die beiden Detectives es dem jungen Vincent Booker. Sie erinnern ihn daran, dass sein Vater und Lena mit derselben Art Kugeln erschossen wurden und beide Morde auf dieselbe Art und Weise verübt wurden. Sie sagen ihm, dass er der einzige Verdächtige ist, der beide Opfer kannte. Und schließlich fragen sie ihn, in welchem Verhältnis sein Vater zu Robert Frazier stand.
    An dieser Stelle blickt der Junge irritiert auf, und Garvey schweigt eine Weile, um das Abstrakte bildlich darzustellen. Auf die Rückseite eines linierten Blattes zeichnet er links einen Kreis und schreibt »Lena« hinein, auf die rechte einen weiteren mit dem Namen »Purnell Booker« und schließliche einen dritten, der sich mit den anderen beiden überschneidet. Hier hinein schreibt er »Vincent«. Es ist eine etwas grobe Darstellung, die jeder Mathelehrer als Venndiagramm kennt, aber sie zeigt, was Garvey sagen will.
    »Das ist unser Fall. Sieh es dir an«, sagt er und schiebt das Blatt zu dem Jungen hinüber. »Lena und dein Vater sind mit derselben Waffe erschossen worden, und jetzt ist die einzige Person, die eine Verbindung zu beiden Opfern hat, Vincent Booker. Du bist also genau mittendrin, mitten in der Scheiße. Denk mal darüber nach.«
    Vincent sagt nichts. Die beiden Detectives verlassen den Raum undbleiben lange draußen, damit die kleine Nachhilfestunde in Mengenlehre ihre Wirkung entfalten kann. Garvey zündet sich eine Zigarette an und blickt durch den halb durchlässigen Spiegel in der Tür. Vincent hält sich die grob gezeichnete Grafik vors Gesicht und fährt die drei Kreise mit dem Finger nach. Dann dreht er das Blatt um 180 Grad, dann wieder anders herum, dann noch einmal. Garvey schüttelt den Kopf.
    »Sieh dir nur mal unseren kleinen Einstein an«, sagt er zu Kincaid. »Der dümmste Arsch, den ich je gesehen habe.«
    »Bist du so weit?«, fragt Kincaid.
    »Ja, los geht’s.«
    Vincent blickt nicht von dem Diagramm auf, als sich die Tür öffnet, doch es durchfährt ihn ein unwillkürliches Schütteln, als Garvey eintritt und sofort einen weiteren, noch lauteren Wortschwall über ihn ergießt. Vincent kann den Augenkontakt nicht mehr halten, er wird mit jeder Anschuldigung kleiner, verletzlicher, ein Blutender in der Ecke eines Haifischbeckens. Garvey merkt, wie er weich wird.
    »Dir liegt ein verdammter Stein im Magen, stimmt’s?«, fragt ihn Garvey wie aus heiterem Himmel. »Du hast das Gefühl, dir wird schlecht. Ich habe hier drin ungefähr hundert so gesehen wie dich jetzt.«
    »Ich hab’ schon welche kotzen sehen«, sagt Kincaid. »Du wirst uns hier drin doch nicht kotzen, oder?«
    »Nein«, sagt

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