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Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
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die verdammte Wand, bevor ich dir den Schädel wegblase!«
    Kincaid und zwei Uniformierte folgen Garvey, der Frazier mit groben Stößen an die Wand schiebt. Kincaid und der jüngere Polizist untersuchen die hinteren Räume, und der ältere Uniformierte, ein Veteran aus dem Westbezirk, entsichert seine Waffe an Fraziers rechtem Ohr.
    »Nur ein Muckser«, sagt er, »und du kannst dein Hirn vom Boden aufkratzen.«
    Um Gottes willen, denkt Garvey mit Blick auf die entsicherte Waffe, wenn das Ding losgeht, schreiben wir für den Rest unserer Karriere Berichte. Aber die Drohung wirkt: Frazier wehrt sich nicht mehr und drückt sich an die Gipswand. Der Uniformierte sichert seine Waffe wieder, und Garvey atmet erleichtert auf.
    »Worum geht’s hier eigentlich?«, fragt Frazier, der sich große Mühe gibt, ein möglichst unschuldiges Gesicht aufzusetzen.
    »Was glauben Sie, worum’s hier geht?«
    Frazier schweigt.
    »Was glauben Sie, Frazier?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Mord. Wir verhaften Sie wegen Mord.«
    »Wen soll ich denn ermordet haben?«
    Garvey lächelt. »Sie haben Lena ermordet. Und den alten Booker.«
    Frazier schüttelt heftig den Kopf. In diesem Augenblick öffnet Howe einen Ring der Handschellen und reißt Fraziers rechten Arm von der Wand. Plötzlich, bei der ersten Berührung mit dem Metall, wehrt sich Frazier erneut, stößt sich von der Wand ab und entzieht sich Howes Griff. Mit erstaunlicher Geschwindigkeit macht Garvey einen Riesenschritt vorwärts und versetzt Frazier einen kräftigen Schlag ins Gesicht.
    Der Verdächtige sieht erstaunt auf.
    »Wofür war das denn?«
    Einen Augenblick lang denkt Garvey über die Frage nach. Die offizielleAntwort, die im Bericht stehen muss, lautet, dass der Detective einen mutmaßlichen Mörder, der versuchte, sich seiner Verhaftung zu entziehen, überwältigen musste. Die ehrliche Antwort, die bald jeder Detective, der auf der Straße unterwegs ist, vergessen haben wird, lautet, dass der Verdächtige geschlagen wurde, weil er ein kaltblütiger Drecksack ist, ein mordlüsterner Scheißkerl, der an einem einzigen Abend einen alten Mann und die Mutter zweier Kinder umgebracht hat. Aber Garveys Antwort liegt irgendwo dazwischen.
    »Das«, erklärt er, »ist dafür, dass du mich belogen hast, du Mistkerl«. Belügen. Einen Detective. Bei einem Mord.
    Frazier sagt nichts mehr und leistet keinen Widerstand, als Howe und Kincaid ihn zum Sofa führen, die Hände hinter dem Rücken gefesselt. Für den Fall, dass Fraziers 38er irgendwo herumliegt, sehen sich die Detectives kurz in der Wohnung um. Die Mordwaffe finden sie nicht, dafür aber auf dem Küchentisch die Nachtarbeit für Robert Frazier: ein kleines Häufchen Crack, Chinin, ein paar Dutzend Zellophantütchen, drei Spritzen.
    Die Detectives sehen die Uniformierten an, die Uniformierten werfen sich gegenseitig Blicke zu.
    »Na, wollt ihr das mitnehmen, Leute?«, fragt der jüngere Uniformierte.
    »Nö«, erwidert Garvey. »Wir haben hier zwei Morde gegen ihn. Außerdem haben wir keinen Durchsuchungsbefehl.«
    »Okay«, sagt der Streifenpolizist, »mir ist es egal.«
    Sie lassen das Zeug auf dem Küchentisch liegen, ein West-Baltimore-Stillleben, das auf einen Nachfolger für Fraziers dreckiges kleines Straßengeschäft wartet. Garvey geht in das Wohnzimmer zurück und bittet den Polizisten, per Funk einen Wagen anzufordern. Frazier hat seine Stimme wiedergefunden.
    »Officer Garvey, ich habe Sie nicht belogen.«
    Garvey lächelt.
    »Du hast doch noch nie die Wahrheit gesagt«, wirft Kincaid ein. »Du weißt gar nicht, was das ist.«
    »Ich lüge nicht.«
    »Komm, hör auf«, sagt Kincaid. »Ich sage dir, du weißt gar nicht, was Wahrheit ist.«
    »He!, Frazier«, sagt Garvey lächelnd, »hast du vergessen, dass du mir versprochen hast, deine Achtunddreißiger vorbeizubringen? Was ist eigentlich damit?«
    »Stimmt«, schließt sich Kincaid an. »Wenn du so verdammt ehrlich bist, wie kommt es dann, dass du uns den Revolver nicht gebracht hast?«
    Frazier schweigt.
    »Sag ich’s doch, du weißt gar nicht, was Wahrheit ist, mein Junge«, wiederholt Kincaid. »Nein Sir, wirklich nicht.«
    Frazier schüttelt nur den Kopf, als wollte er kurz seine Gedanken ordnen. Dann sieht er mit ehrlicher Neugier zu Garvey hoch. »Officer Garvey«, fragt er, »bin ich der Einzige, der beschuldigt wird?«
    Der Einzige. Die Frage, ob Vincent Booker etwas mit diesen Morden zu tun hat, ist mit dieser Äußerung bereits beantwortet.
    »Ja,

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