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Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
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Highschool-Abschluss und der Ausbildung bei der Navy ausgestattet war, wuchs mit seinen Aufgaben. Sicherlich lag es auch an seiner Mutter, die ein Mensch ohne Vorurteile war. Auch seine langjährige Zusammenarbeit mit Detective Grady hatte sich positiv ausgewirkt – er konnte nicht auf der einen Seite seinen schwarzen Partner achten und mögen und auf der anderen Worte wie Nigger und schwarze Schlampe benutzen, als hätten sie keine Bedeutung.
    Diese Sensibilität gehörte gleichfalls zu seinen Stärken. Worden war einer den wenigen weißen Detectives, die hinter dem Schreibtisch einem schwarzen Fünfzehnjährigen gegenübersitzen und ihm mit nur einem Blick und ein, zwei Worten klarmachen konnten, dass sie beide bei null anfingen. Respekt erzeugte Respekt, Verachtung erzeugte Verachtung. Jeder, der Augen im Kopf hatte, sah, dass das ein fairer Deal war.
    Als das Innenstadtviertel Mount Vernon von einer Serie von Schwulenmorden heimgesucht wurde, gelang es Worden, das Vertrauen der Homosexuellenszene zu gewinnen, obwohl sie das Präsidiumwegen früherer, zum Teil auch nur vermeintlicher Schikanen stets gemieden hatte. Wenn Worden in einen x-beliebigen Club in der Park Avenue ging und dem Barmann eine Reihe Fotos vom Erkennungsdienst zeigte, bekam er ehrliche Antworten. Auf sein Wort konnten sich die anderen verlassen, und er betrachtete es nicht als seine Aufgabe, zu urteilen oder zu drohen. Er brauchte keine homosexuellen Outings und kein offizielles Verbrechensprotokoll für die Akten. Er wollte einfach nur wissen, ob das Foto den Kerl zeigte, der in den Bars auf Beutezug ging und die Männer zusammenschlug und ausraubte, von denen er sich aufreißen ließ. Nach Aufklärung der Morde in Mount Vernon lud Worden sein gesamtes Team demonstrativ in eine Schwulenbar am Washington Boulevard ein, wo er zunächst eine Lokalrunde ausgab und er und die anderen Detectives dann für den Rest des Abends eingeladen waren.
    Selbst im Morddezernat, wo eine gewisse Begabung und Intelligenz vorausgesetzt werden, hielt man Worden für einen unschätzbaren Glücksfall – einen Supercop, einen wahren Ermittler. In seinen drei Jahren im Morddezernat hatte er genauso Mitternachts- und Doppelschichten abgeleistet wie die jüngeren Männer. Er zeigte ihnen, was fünfundzwanzig Jahre Erfahrung bedeuteten, und lernte alle neuen Tricks, die die Arbeit im Morddezernat ihn lehren konnte. Bis zum Mord in der Monroe Street schien Worden unangreifbar, wenn nicht gar unfehlbar. Bis zur Monroe Street hatte man gedacht, er würde für immer und ewig Fälle übernehmen.
    Der tote John Scott aber, über den sich eine Handvoll Männer vom Western District gebeugt hatten, war ihm als Fall schlicht und einfach entglitten. Abgesehen von der emotionalen Belastung, gegen andere Cops ermitteln zu müssen und sich von ihnen anlügen zu lassen wie von irgendeiner Dumpfbacke in einer Seitenstraße, war die Monroe Street für Worden inzwischen das Gleiche wie der Latonya-Wallace-Mord für Pellegrini. Wenn ein Detective zehn Morde in Folge löst, glaubt er irgendwann, es könne ihn nie treffen. Aber dann kommt ein Red Ball, ein Ball, der nicht richtig springt, und derselbe Detective fragt sich plötzlich, wohin das alles führen soll – all die Akten und Protokolle, all die Wunden an den Toten an so vielen unterschiedlichen Tatorten – so viele Verbrechen, dass Namen und Orte verschwimmen unddass sich die, die ihre Freiheit verwirkt und die, die ihr Leben verloren hatten, plötzlich in einer traurigen Collage überlagern.
    Schon das allein wäre ein Grund für Wordens Abschied gewesen, aber es kam noch etwas hinzu. Zum einen musste er keine Familie mehr ernähren. Seine Kinder waren erwachsen, und seine Frau hatte sich längst mit der mittlerweile zehnjährigen Trennung arrangiert. Sie hatten einen Waffenstillstand geschlossen: Worden hatte keine Scheidung eingereicht, und seine Frau würde es nie tun. Sobald er seine Kündigung einreichte, hätte er Anspruch auf eine Pension von 60 Prozent, womit er also weniger als die Hälfte seines gegenwärtigen Gehalts bekäme. An seinen freien Tagen besserte er sein Einkommen auf, indem er gegen Bargeld Pelzmäntel aus dem Sommerlager an Kunden ausfuhr. Oder er arbeitete an seinem kürzlich in Brooklyn Park gekauften Haus. Er war ein geschickter Handwerker, und würde er sich ganz auf Renovierungsarbeiten verlegen, könnte er bestimmt einiges einnehmen. Jay Landsman, an ebenso exponierter Stelle im Morddezernat wie er

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