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Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
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muss raus auf die Straße, dann wird er auch bald wieder der Alte sein.
    Aber Worden ist nicht mehr der Alte. Und als Brown seine Bemerkung über die zwei roten Namen auf der Tafel herausrutscht, verfällt er in eisiges Schweigen. Die Scherze, die Sticheleien, die testosteronschwangere Atmosphäre werden von dumpfem Brüten abgelöst.
    Brown, der das spürt, ändert seinen Ton. Jetzt versucht er, den Big Man zu ködern, anstatt ihn abzuwehren. »Warum musst du mich immer ärgern?«, fragt er. »Warum nimmst du nicht mal Waltemeyer aufsKorn? Fährt Waltemeyer etwa samstags während der Tagschicht nach Pikesville raus und holt dir deine Bagels?«
    Worden antwortet nicht.
    »Verdammt, warum ärgerst du nicht Waltemeyer?«
    Natürlich kennt Brown die Antwort. Worden wird Waltemeyer nicht ärgern, denn der hat mehr als zwei Jahrzehnte Dienstzeit hinter sich. Worden ärgert lieber Dave Brown, der es nur auf dreizehn Jahre bringt. Aus demselben Grund fährt Donald Waltemeyer auch nicht um sieben Uhr morgens nach Pikesville, um Bagels zu holen. Denn Brown ist der Neue, und der Neue muss von Worden eingeritten werden. Wenn jemand wie Worden ein Dutzend Bagels und ein halbes Pfund Kräuterquark haben will, dann steigt der Neue in einen Cavalier und fährt, wenn es sein muss, auch bis nach Philadelphia.
    »Das ist nun der Dank«, fährt Brown fort.
    »Was willst du? Soll ich dich etwa küssen?« Endlich spricht Worden wieder. »Du hast mir nicht mal Knoblauch mitgebracht.«
    Brown verdreht die Augen. Knoblauchbagels. Immer diese Knoblauchbagels. Angeblich sollen sie besser für Wordens Blutdruck sein, und wenn Brown zur Samstagsschicht nur Zwiebel- oder Mohnbagels mitbringt, bekommt er es den ganzen Tag lang zu hören. Außer der Fantasie, dass Waltemeyer mit sieben besoffenen griechischen Hafenarbeitern im großen Vernehmungsraum eingesperrt ist, gibt es nur noch eine, an der sich Brown so richtig ergötzen kann: Wie er selbst an einem Samstagmorgen früh um fünf auf dem Rasen vor Wordens Haus steht und sechzig, siebzig Knoblauchbagels an sein Schlafzimmerfenster wirft.
    »Sie hatten kein Knoblauch mehr«, erklärt Brown. »Ich hab sie gefragt.«
    Worden bedenkt ihn mit einem verächtlichen Blick. Es ist derselbe Ausdruck wie auf dem Foto vom Tatort am Cherry Hill, das Brown für seine persönliche Sammlung mitgehen ließ, der Ausdruck, der besagt: »Brown, du Stück Scheiße, wie kannst du auch nur im Entferntesten annehmen, dass die Bierdosen etwas mit deinem Verbrechen zu tun haben?« Eines Tages wird Worden in den Ruhestand gehen, und es kann sein, dass Dave Brown dann dessen Platz als Säule von McLarneys Team einnimmt. Aber bis dahin ist das Leben des jüngeren Detective dazu verdammt, eine von Worden gestaltete Hölle zu sein.
    Für Worden hingegen ist die Hölle allein ein Produkt seiner Vorstellung. Er hat seine Arbeit geliebt – zu sehr geliebt, vielleicht –, und jetzt scheint ihm plötzlich die Zeit davonzulaufen. Worden kann das verständlicherweise nur schwer akzeptieren. Seit fünfundzwanzig Jahren tat er seinen Dienst in der Gewissheit zu brillieren, egal, wo ihn das Präsidium hinstellte. Das war schon immer so gewesen, auch in seiner langen Dienstzeit im Northwestern District, in der die Arbeit für ihn zur zweiten Natur wurde. Selbst heute kann er keinen Mord in jenem Gebiet bearbeiten, ohne an die Orte und Menschen zu denken, die er damals kannte. Das Berichteschreiben hatte ihm noch nie gelegen, aber verdammt wollte er sein, wenn es jemanden gab, der besser in der Straße lesen konnte als er. Nichts, was auf seinem Posten geschah, entging seiner Aufmerksamkeit: Seine Fähigkeit, sich an Gesichter, Adressen und von anderen Cops längst vergessene Vorfälle zu erinnern, war einfach phänomenal. Im Gegensatz zu seinen Kollegen kommt Worden an einem Tatort ohne Notizblock aus, weil er sich auch so alles merken kann. In der Schicht wird gern gewitzelt, dass Worden nur ein Streichholzbriefchen brauchte, um sich die Einzelheiten von drei Morden und einem Schusswechsel mit Polizeibeteiligung zu notieren. Ist er im Zeugenstand, bitten die Anwälte oft um Einsicht in seine Unterlagen und wollen es dann nicht glauben, wenn sie hören, dass es keine gibt.
    »Ich kann mir die Dinge eben merken«, erklärte er einem Strafverteidiger. »Stellen Sie mir einfach Ihre Fragen.«
    Wenn nachts wenig los war, nahm Worden oft einen Cavalier und fuhr durch ein Drogenviertel oder durch den Fleischmarkt an der Park Avenue, wo

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