Homicide
Sinn«, sagte der Captain. »Was meinen Sie, wie die Männer es aufnehmen würden, wenn sie unter einem anderen Lieutenant arbeiten müssten?«
»Ich glaube, dann haben Sie eine Meuterei am Hals«, antwortete Worden in der Hoffnung, den Versuchsballon damit abgeschossen zu haben. »Warum wollen Sie das wissen?«
»Mich interessiert einfach nur, wie die Männer darüber denken«, erklärte der Captain. »Es sieht so aus, als hätten die da oben was in der Mache.«
In der Mache. Es dauerte keine Stunde, da wusste D’Addario Bescheid. Worden und drei andere Detectives hatten ihm von dem Gespräch erzählt. Daraufhin ging D’Addario direkt zum Colonel, bei dem er sich einen Vertrauensvorschuss ausrechnete. Zehn erfolgreiche Jahre als Vorgesetzter im Morddezernat mussten doch zu irgendwas gut gewesen sein, sinnierte er.
Der Colonel versicherte D’Addario, dass die Forderung nach seiner Versetzung vom Captain kam. Ansonsten blieb er ausgesprochen zurückhaltend; er drückte lediglich noch einmal seine Sorge über die schlechte Aufklärungsquote aus. Und D’Addario meinte die ungestellte Frage zu hören: »Wenn es nicht an Ihnen liegt, woran dann?«
Zurück in seinem Büro tippte der Lieutenant ein langes Memo, in dem er das zahlenmäßig schlechtere Abschneiden seiner Schicht im Vergleich zu Stantons erklärte. Er wies darauf hin, dass mehr als die Hälfte der von seinen Männern übernommenen Fälle aus dem Drogenmilieu stammten und einige davon auf Eis gelegt wurden, als man Leute für die Ermittlungen im Fall Latonya Wallace brauchte. Die schlechten Zahlen kämen aber auch daher, dass keiner der beiden Lieutenants geklärte Fälle aus dem Dezember ins neue Jahr hinüberziehen und somit ein Polster im Januar schaffen konnte. Die Zahlen werden sich bessern, versprach D’Addario, sie gehen bereits nach oben. Sie werden es sehen.
D’Addario war überzeugt, sein Papier werde den Colonel überzeugen, die Männer aus seiner Schicht aber waren anderer Meinung. Vielleicht beruhten die Pläne, einen schichtleitenden Lieutenant zu opfern, gar nicht auf Machenschaften des Captain, sondern auf der Kritik von weiter oben, also vom Colonel und womöglich sogar vom stellvertretenden Polizeichef. Wenn das stimmte, dann stand D’Addario nicht nur wegen der Aufklärungsquote unter Druck, sondern auch wegen der Monroe Street. Und wegen der Morde in Northwest und Latonya Wallace. Vor allem wegen der Wallace. Dass sie im Mord an dem Mädchen bisher kein Belastungsmaterial gefunden hatten, war für die Bosse schon Grund genug, auf Kopfjagd zu gehen.
Da er keine politischen Verbündeten hatte, gab es für D’Addario nur zwei Möglichkeiten. Er konnte seinen Umzug in ein anderes Dezernat akzeptieren und mit dem bitteren Nachgeschmack leben lernen, der einersolchen Versetzung anhaftet. Oder er saß es aus und hoffte darauf, dass die Aufklärungsquote weiter anstieg und es ihnen gelang, ein, zwei Red Balls aufzuklären. Wenn er einfach blieb, konnten die Vorgesetzten seine Versetzung zwar erzwingen, aber dazu müssten sie Stellung beziehen, was einen schmutzigen Papierkrieg zur Folge hätte. Natürlich würde er irgendwann verlieren, aber bis dahin würde er ihnen das Leben schwer machen, und das sollten der Captain und der Colonel auch wissen.
In diesem Fall müsste D’Addario allerdings noch ein weiteres Opfer bringen. Solange die Aufklärungsquote schlecht war, würde er seinen Männern nicht mehr als Prellbock vor den Launen der Oberkommandierenden dienen können, zumindest nicht mehr so weit wie bisher. Was dabei zählte, war der äußere Schein. Die Detectives müssten sich stärker an den Dienstvorschriften orientieren, und er selbst müsste so tun, als hätte er sie dementsprechend instruiert. Sie dürften nicht mehr so großzügig Überstunden machen, und die Männer, die seltener Einsätze annahmen, müssten ein bisschen mehr Tempo zulegen. Vor allem aber müssten sich die Ermittler bedeckt halten, Berichte schreiben und die Akten mit Ergänzungen und Nachträgen auf den neuesten Stand bringen, so dass ihnen kein Vorgesetzter vorwerfen könnte, Spuren nicht verfolgt zu haben. Auch wenn das alles nur bürokratischer Scheiß war. Die mühselige Kleinarbeit, ein halbes Dutzend Berichte auf Vordermann zu bringen, nur um sich abzusichern, war eine Verschwendung kostbarer Zeit. Trotzdem, dieses Spiel hatte seine Regeln, und er würde sich ab jetzt daran halten.
Am schwierigsten würde es sein, gegen die
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