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Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
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nahm seine Aufgabe als Sergeant sehr ernst. Ihm gefiel die Arbeit in dieser paramilitärisch organisierten Institution. Mehr als die meisten hielt er sich an die Regeln des Polizeiapparats: Er unterwarf sich der Rangordnung, war loyal gegenüber seinem Arbeitgeber, respektierte die Befehlskette. Damit wurde er zwar nicht unbedingt zum Teamplayer, aber Nolan schirmte seine Detectives ebenso gut ab wie die anderen Sergeants im Morddezernat – wenn nicht sogar besser. Ein ihm unterstellter Ermittler konnte sicher sein, nur von ihm zurechtgewiesen zu werden, und von keinem anderen.
    Trotzdem war Nolan für seine Männer ein Rätsel. Er stammte aus einem Ghetto in West-Baltimore, hatte fünfundzwanzig Jahre im Polizeidienst hinter sich und galt als der einzige Schwarze der Stadt, der sich politisch für die Republikaner engagierte – was er wiederholt und vergeblichabstritt. Mit seinem wuchtigen Körperbau, dem kahlen Schädel und dem breiten, ausdrucksstarken Gesicht sah er aus wie ein ehemaliger Preisboxer – oder wie der einstige Marine, der er tatsächlich war. Mit Eltern, die dem Alkohol verfielen, und Verwandten, die im Drogenhandel West-Baltimores mitmischten, hatte er keine leichte Kindheit. Wahrscheinlich retteten ihn die Marines, die ihn irgendwann von der North Carollton Street aufpflückten und ihm eine Ersatzfamilie, ein eigenes Bett und drei ausgewogene Mahlzeiten am Tag gaben. Er diente im Pazifik und im Mittelmeer, ließ sich aber seine Papiere geben, ehe der Vietnamkrieg in die heiße Phase eintrat. Geprägt hatte ihn das Marines-Motto
Semper fidelis:
Nolan leitete in seiner Freizeit eine Pfadfindergruppe, las Bücher zur Militärgeschichte und sah sich Wiederholungen der Westernserie
Hopalong Cassidy
an – also alles, was in den Augen der Detectives dem typischen Verhalten eines Ureinwohners Baltimores so gar nicht entsprach.
    Nolan war allerdings der Einzige im Morddezernat mit dieser Haltung. Anders als Landsman und McLarney hatte er sich nicht vom Detective im Morddezernat hochgearbeitet, sondern einen Großteil seiner Laufbahn als Sector-Sergeant im Northwestern und im Eastern District gedient. Dieses lange Exil fern dem Präsidium hatte er antreten müssen, nachdem er Anfang der 1970er-Jahre als vielversprechender Zivilpolizist die oberen Ränge bei einem berühmten Korruptionsskandal gegen sich aufgebracht hatte.
    Damals wurde die Polizei Baltimores von Turbulenzen erschüttert. 1973 stellte man fest, dass fast die Hälfte des Western District, der Commander eingeschlossen, von örtlichen Glücksspielringen Schutzgeld angenommen hatte, worauf man ihnen den Prozess machte oder sie feuerte. Das Sittendezernat des CID erlitt das gleiche Schicksal, und in der Abteilung Kriminaltaktik kursierten Gerüchte über den hochrangigen schwarzen Major James Watkins, der eigentlich als aussichtsreicher Kandidat für den Posten des Polizeichefs galt. Watkins war als Kind mit einigen der inzwischen in der Pennsylvania Avenue bekannten Drogendealer befreundet gewesen, und gegen Ende der 1970er-Jahre musste er sich mit dem Vorwurf der Bestechlichkeit durch den Drogenhandel auseinandersetzen.
    Nolan arbeitete damals unter Watkins als Zivilbeamter und wusste,dass in dessen Abteilung nicht alles in Ordnung war. Als sie bei einem Zugriff einmal mehr als fünfhundert klare Zellophantüten mit Heroin sicherstellten, erbot sich ein anderer Zivilpolizist, die heiße Ware in die Beweismittelsicherung zu bringen. Nolan lehnte ab. Er zählte die Tütchen durch, fotografierte sie und brachte sie selbst zur Beweismittelsicherung, wo er sich den Empfang bestätigen ließ. Kurz darauf war das Heroin im Wert von 15.000 Dollar verschwunden, und schließlich konnte man zwei Officers aus Watkins’ Abteilung überführen. Allerdings wollte Nolan nicht glauben, dass Watkins von den Vorgängen gewusst hatte oder irgendwie daran beteiligt gewesen war. Gegen allgemeinen Rat und gegen den Wunsch des Polizeichefs trat Nolan in dem anschließenden Gerichtsverfahren als Leumundszeuge für Watkins auf.
    Der Colonel wurde verurteilt, in einem späteren Revisionsverfahren dann aber freigesprochen. Ähnlich zwiespältig waren die Konsequenzen für Nolans Karriere: Während er vor seiner Aussage als Sergeant noch der Ermittlungseinheit der Staatsanwaltschaft unterstand, leitete er danach einen Streifensektor im Northwestern District – ohne jede Aussicht, das Präsidium noch einmal von innen zu sehen, solange die gegenwärtige Verwaltung im

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