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Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
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Überstundenabrechnungen vorzugehen, ein Ritual, das am Ende des Haushaltsjahrs fast regelmäßig durchgespielt wurde. Das Morddezernat überschritt seinen Etat für Überstunden und Gerichtsauftritte Jahr für Jahr um fast 150.000 Dollar. Und ebenso verlässlich schwang die Verwaltung in den Monaten April und Mai die Peitsche. Der geringe Effekt, den man so erzielte, war mit Beginn des neuen Haushaltsjahrs im Juni dann wieder völlig aufgehoben. Doch zwei, drei Monate im Frühling wiesen Captains ihre Lieutenants und Lieutenants ihre Sergeants an, so wenig Überstunden wie möglich zu bewilligen, damit die Zahlen ein bisschen besser aussahen. In den Districts mochte es ja noch angehen, dass während einerÜberstundensperre ein oder zwei Funkwagen weniger ausfuhren. Im Morddezernat hingegen arbeitete man in dieser Zeit unter surrealen Bedingungen.
    Bei Deckelung der Überstunden verfuhr man nach einem simplen Prinzip: Ein Detective, der mit Überstunden und Zeit vor Gericht 50 Prozent seines Grundgehalts angesammelt hatte, wurde aus der Wechselschicht herausgenommen. In den Augen der Zahlstelle eine logische Maßnahme: Wenn Worden sein Limit erreicht hat und nur noch tagsüber Bürodienst schieben darf, kann er keine Einsätze mehr annehmen. Und ohne Einsätze kann er keine Überstunden ansammeln. Für die Detectives und ihre Sergeants allerdings entbehrte dies jeder Logik. Denn arbeitet Worden nicht mehr in seiner regulären Schicht, müssen die vier anderen Kollegen aus seinem Team in den Nachtschichten mehr Einsätze übernehmen. Und sobald Waltemeyer, Gott behüte, ebenfalls sein Limit erreicht, sind sie nur noch zu dritt. Im Morddezernat kommt es einer Strafe gleich, mit nur drei Männern auf Nachtschicht zu gehen.
    Viel bedenklicher aber war, dass sich die Deckelung der Überstunden auf die Qualität ihrer Arbeit auswirkte. Die besten Detectives waren in der Regel die Männer, die sich am meisten in die Fälle hineinknieten, und ihre Fälle waren gewöhnlich diejenigen, die auch vor Gericht kamen. Gewiss konnte ein erfahrener Ermittler aus jedem x-beliebigen Fall Überstunden herausschinden, doch grundsätzlich war es nun einmal teurer, einen Fall abzuschließen, als ihn ungelöst abzulegen, und noch teurer, wenn man in einer Gerichtsverhandlung auch tatsächlich gewinnen wollte. Die Aufklärung einer Tat ist eine Gelddruckmaschine, eine Tatsache, der auch Regel Sieben in den gesammelten Weisheiten des Morddezernats Rechnung trägt.
    Dort heißt es: Erst sind sie rot, dann grün, dann schwarz – grün wie die Farbe der Dollarnoten. Weil D’Addario jedoch mittlerweile angeschlagen war, würden sie sich mit weniger Grün begnügen müssen. In diesem Frühjahr drohte die 50-Prozent-Grenze einigen Schaden anzurichten.
    Der Erste, der sie erreichte, war Gary Dunnigan, der sich unversehens auf Tagschicht wiederfand, um in seiner Arbeitszeit alte Akten auf den neuesten Stand zu bringen. Der nächste war Worden, dann kam Waltemeyer, und Rick James stand bei 48 Prozent. Plötzlich sah sichMcLarney gezwungen, drei Wochen Nachtschicht mit zwei einsatzfähigen Ermittlern bestreiten zu müssen.
    »Morde haben wir mehr als genug«, bemerkte Worden sarkastisch. »Nicht aber Stunden, die wir daran arbeiten dürfen.«
    D’Addario spielte das Spiel nach allen Regeln der Kunst und versandte Warnbriefe an die Männer, die sich der 50-Prozent-Grenze näherten, und schickte Kopien davon an den Colonel und den Captain. Und wer schon drüber war, wurde auf die Reservebank geschickt. Erstaunlicherweise schienen seine Sergeants und Detectives bereit, bei diesem Unsinn mitzumachen. Dabei wäre es ein Leichtes, die Beschränkung zu unterlaufen, indem sie bei einer schlecht besetzten Nachtschicht Kollegen hinzuriefen und später erklärten, die Umstände hätten es erfordert. Morde lassen sich schließlich nicht vorhersagen.
    Aber die Sergeants wussten, dass D’Addarios Stellung und damit auch ihre eigene gefährdet war, und so verbannten sie ihre Detectives an die Seitenlinie und jonglierten mit den Dienstplänen. Schließlich gab es bei der Polizei Baltimores mehr Lieutenants als genug, und nach McLarneys und Nolans Schätzung verfügten gut 80 Prozent von ihnen über die Bereitschaft, den Willen und den Ehrgeiz, das Morddezernat ordentlich in die Scheiße zu reiten, wenn sie die Gelegenheit dazu hatten.
    Während McLarney und Landsman aus Solidarität gegenüber D’Addario handelten, hatte Roger Nolan ganz andere Gründe.
    Nolan

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