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Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
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Amt war. Das Exil, die politischen Machenschaften, der Ruch der Korruption, in den ihn andere hineingezogen hatten – all das hatte sich Nolan so stark eingeprägt, dass die Detectives aus seinem Team einstimmig aufstöhnten, wenn ihr Sergeant wieder einmal Anstalten machte, die Geschichte des verschwundenen Heroins zum Besten zu geben.
    Dass Nolan nach so vielen Jahren in den Schützengräben wieder ins CID zurückkehrte, war eine Demonstration menschlichen Durchhaltevermögens. Und seine Versetzung ins Morddezernat, obwohl er keine Erfahrung in Mordermittlungen hatte, war eine sinnvolle Entscheidung, da es nie mit systematischer Korruption in Verbindung gebracht wurde. In den letzten fünfzehn Jahren war es mehr oder weniger sauber geblieben, eine beachtliche Leistung, verglich man es mit den gleichen Stellen in New York, Philadelphia und Miami. Abgesehen davon war ein Cop, der sich bereichern wollte, nicht im Morddezernat am richtigen Platz, sondern im Drogendezernat, bei der Sitte oder sonst einer Stelle, wo ein Detective, der gerade eine Tür eingetreten hatte, durchaus mal 100.000 Dollar unter der Matratze finden konnte. Die einzigakzeptierte krumme Tour im Morddezernat war die Sache mit den Überstunden. Ansonsten aber hatte bislang noch niemand herausgefunden, wie man mit Leichen zu Geld kommen konnte.
    Nolan war vor allem ein Überlebenskünstler und stolz auf seinen Rang und seine Position. Daher nahm er seine Pflichten als Vorgesetzter ernst und ärgerte sich, wenn Landsman, McLarney und D’Addario so wenig Interesse an formalen Aspekten zeigten. Ihre Führungstreffen begannen gewöhnlich damit, dass Nolan neue Vorschläge für die Arbeitsabläufe machte – manche gut, manche schlecht, doch alle mit einem Mehr an Kontrolle verbunden. Die Besprechungen dauerten meist nicht lange: Landsman empfahl Nolan entweder die Konsultation eines Psychologen oder den Umstieg auf eine bessere Marihuanasorte, und McLarney machte einen Witz zu einem ganz anderen Thema, worauf D’Addario die Sitzung zu Nolans Unmut vertagte. Während Landsman und McLarney grundsätzlich lieber an Fällen arbeiteten, übernahm Nolan gern die Rolle des hauptberuflichen Vorgesetzten.
    Aus Nolans Sicht war D’Addarios Strategiewechsel hin zu mehr Kontrolle daher richtig, aber verspätet. Der Lieutenant sollte die Sergeants kontrollieren, und die Sergeants sollten ihre Männer an der kurzen Leine halten. D’Addario hatte, wie er meinte, nicht nur seine eigene Autorität untergraben, sondern auch die seiner Sergeants.
    Trotzdem konnten Nolans Detectives – Garvey, Edgerton, Kincaid, McAllister und Bowman – ebenso frei arbeiten wie die der anderen Teams. Dokumentation, Verwaltungsaufgaben und Personaleinteilung waren in Nolans Hand. Im Morddezernat, wo es vor allem auf das Aufklären von Morden ankam, ließen sich Nolan und seine Männer ebenso wenig von der Befehlskette beeinflussen wie der Rest. Seine Detectives verfolgten ihre Fälle in der ihnen eigenen Geschwindigkeit und nach eigenem Gutdünken, und Nolan erwartete auch nichts anderes von ihnen. Edgerton kam diese Herangehensweise vom Typ her entgegen, doch selbst der methodische Garvey konnte, wenn ihm ein wachsamer Sergeant über die Schulter sah, ein Dutzend Morde pro Jahr aufklären. Ohne Sergeant schaffte er zwölf.
    »Ich würde für keinen anderen Sergeant da oben arbeiten wollen«, meinte Garvey, als er einem fremden Detective die Schichtdynamik erklärte.»Man muss Roger nur hin und wieder einen Schlag auf den Hinterkopf geben, damit er wieder auf den Boden kommt.«
    Die Detectives nahmen die Überstundenkürzungen und geänderten Arbeitszeiten nur deshalb hin, weil sie von der prekären Lage D’Addarios wussten. Und als D’Addario hinter ihnen her war, die Akten prüfte und auf bessere Papierarbeit drängte, nahmen sie es ihm nicht übel. Während einer Nachtschicht, bei der ihnen ein Mann fehlte, fasste Rick Requer ihre Gefühle mit den liebevollen Worten zusammen:
    »Wenn es nicht für Dee wäre«, erklärte er den beiden anderen, »würde ich bei diesem ganzen Bockmist nicht mitmachen.«
    Und so hielten sie den ganzen April bis in den Mai durch, während D’Addario bemüht war, sich mit der erforderlichen Vorgesetztenfassade zu arrangieren. Die zusätzliche Büroarbeit und veränderten Arbeitszeiten waren kosmetische Maßnahmen und erträglich, sofern ihr Lieutenant dem Sturm trotzen konnte. Mitte Juni, wenn das neue Haushaltsjahr begann, würde es auch wieder

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