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Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
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Uniformierten.
    »Normalerweise nicht. Aber ich bin in diesem Sektor und kenne die Ecke daher ziemlich gut. Was wollen Sie wissen?«
    Was wollen Sie wissen. Edgerton beginnt, den Jungen zu mögen. Er ist nicht nur gewieft genug, jeden am Tatort festzuhalten, der ein Zeuge sein könnte, sondern scheint das Gebiet auch zu kennen, in dem er arbeitet – ein Umstand, bei dem man in Baltimore wehmütig werden konnte. Vor zehn oder fünfzehn Jahren durfte ein Mordermittler eine Antwort erwarten, wenn er einer Streife eine Frage stellte. Damals war ein Cop Herr über sein Einsatzgebiet, und es war undenkbar, dass sich an der Kreuzung Hollins und Payson zwei Hunde paarten, ohne dass man in der Dienststelle des Southwestern davon erfuhr. Ein Streifenpolizist, der einen Mord aufnahm, musste damit rechnen, gefragt zu werden, wer sich in dieser Gegend herumtrieb und wo man die Leuteantreffen konnte. Und wenn er es nicht wusste, fand er es schnellstens heraus. Heute hingegen, denkt Edgerton, ist man schon froh, wenn einem der Uniformierte die richtigen Straßennamen sagt. Aber dieser Junge ist ein Polizist mit Leib und Seele. Ein Relikt.
    »Wer wohnt in dem Haus an der Ecke dort?«
    »Ein Haufen Dealer. Eigentlich ist es sogar ein verdammter Fixertreff. Unsere Drogeneinheit hat dort letzte Woche eine Razzia gemacht und etwa ein paar Dutzend von den Scheißtypen festgenommen.«
    Mist. Da gab es also keine Zeugen.
    »Und an dieser Ecke hier?«
    »Im Eckhaus wohnen Junkies. Junkies und ein alter Säufer. Nein, der Säufer wohnt ein Haus weiter.«
    Fabelhaft, denkt Edgerton. Der Junge ist fabelhaft.
    »Und da drüben?«
    Der Uniformierte zuckt die Achseln. »Weiß ich nicht genau. Vielleicht ganz normale Leute.«
    »Haben Sie die Nachbarschaft befragt?«
    »Ja, den halben Block. Da drüben hat allerdings niemand aufgemacht. Die Arschlöcher an der anderen Ecke sagen, sie hätten nichts gesehen. Aber wir können sie einbuchten, wenn Sie wollen.«
    Edgerton schüttelt den Kopf und schreibt ein paar Zeilen in seinen Notizblock. Ein bisschen neugierig beugt sich der Uniformierte vor.
    »Kennen Sie den Kerl, den Sie festgehalten haben?«, fragt Edgerton.
    »Nicht namentlich, aber ich habe ihn schon öfter gesehen. Er dealt an dieser Ecke, und ich weiß, dass er schon mal in Haft war. Er ist ein Stück Scheiße, wenn es das ist, was Sie wissen wollen.«
    Edgerton lächelt kurz, dann überquert er die Kreuzung. Der spindeldürre Dealer lehnt am Streifenwagen. Er ist mit sämtlichen Statussymbolen des Ghettos ausgestattet: tief in die Stirn gezogenes schwarzes Barett, Air Jordans, Jordache-Jeans und ein Nike-Sweatshirt – eine wandelnde Werbefläche. Er lächelt sogar, als Edgerton auf ihn zukommt.
    »Scheint, als wäre ich am falschen Ort gewesen«, sagt er.
    Edgerton grinst. Ein Gangster, der weiß, wie so was läuft.
    »Sieht ganz so aus. Wie heißen Sie?«
    Der Dealer antwortet leise.
    »Können Sie sich ausweisen?«
    Er zuckt die Achseln, dann zieht er einen amtlichen Altersnachweis heraus. Der Name stimmt.
    »Ist das noch die richtige Adresse?«
    Der Dealer nickt.
    »Wie war das mit den Schüssen?«
    »Ich weiß vielleicht, worum es ging. Und ich kann sagen, wie es von da hinten aussah, weiter die Straße runter. Aber ich habe keine Ahnung, wer es gewesen ist.«
    »Was heißt das, keine Ahnung?«
    »Dass ich zu weit weg war, meine ich. Ich war in der Mitte vom Block, als das mit der Schießerei anfing. Deshalb habe ich nicht …«
    Edgerton unterbricht ihn, weil in diesem Augenblick ein weiterer Streifenwagen auf der Payson vorbeirollt, dann aber an der Parkbucht anhält. O. B. McCarter, der, nachdem er zur Verstärkung im Fall Karen Smith ans Morddezernat beordert wurde, wieder zum Streifendienst im Southwestern District zurückgekehrt ist, lehnt sich lachend aus dem Fenster.
    »Harry Edgerton«, sagt er schmunzelnd. »Ist das dein Fall, Mann?«
    »Ja, leider. Warst du im Krankenhaus?«
    »Ja, war ich.«
    Zum Teufel, McCarter, denkt Edgerton. Seit drei Wochen ist er weg, und ich habe ihn noch keinen Augenblick vermisst.
    »Und? Ist er tot?«
    »Hast du schon einen Verdächtigen?«
    »Nein.«
    McCarter lacht erneut. »Er ist tot. Jetzt hast du deinen Mord, Harry.«
    Edgerton wendet sich wieder dem Dealer zu. Der schüttelt traurig den Kopf. Nimmt ihn der Mord wirklich mit, oder spielt er nur Theater?
    »Haben Sie den Mann gekannt?«
    »Pete? Ja, hab’ ich.«
    »Hier bei mir steht, Greg Taylor«, sagt Edgerton nach einem Blick in

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