Homicide
Überstunden geben. Sie fluchten, sie schimpften, doch sie hielten D’Addario die Stange. Vor allem aber taten sie etwas, was für die Zukunft ihres Lieutenant entscheidend war: Sie klärten Morde auf.
Ceruti kam mit der Festnahme eines Mannes aus dem Southwestern, der jemanden erschlagen hatte. Waltemeyer klärte die tödlichen Schüsse in einem Haus in der North Wolfe Street in der Nähe des Hopkins Hospital auf. Tomlin aus Stantons Schicht bearbeitete eine Messerstecherei und nahm am Ende einen zukünftigen Polizeikadetten fest, der im folgenden Monat eigentlich mit der Akademie hätte beginnen sollen.
»Glauben Sie, dass ich deswegen in der Personalstelle anrufen muss?«, fragte der Mann nach seinem Geständnis.
»Wäre vielleicht nicht schlecht«, antwortete Tomlin. »Obwohl sie bestimmt davon erfahren werden.«
Garvey und Kincaid wurden zur Harlem Avenue gerufen, wo sie nicht nur Zeugen vorfanden, sondern auch einen am Tatort herumlungernden Verdächtigen. Bei ihrer Ankunft im Universitätskrankenhaus beugten sich die Ärzte über den geöffneten Brustkorb des Opfers und gaben ihm eine verzweifelte Herzmassage. Die Linie des EKG flatterte, und Blut strömte aus der Brusthöhle auf die weißen Bodenfliesen.Zehn-sieben noch in den nächsten ein, zwei Stunden, meinte der Arzt der Notaufnahme, spätestens am Morgen. Ach wirklich, dachten die Detectives, die nicht zum ersten Mal mit den medizinischen Aspekten eines gewaltsamen Todes konfrontiert wurden. Wenn die Ärzte den Brustkorb öffnen, sind sie mit ihrem Latein am Ende, und in 97 Prozent der Fälle sind ihre Bemühungen vergeblich. Damit bestätigte sich wieder einmal ihre Regel Sechs, wie Garvey nach der Rückkehr ins Büro staunend feststellte.
»He!, Donald.« Garvey hüpfte durchs Büro, umfasste Kincaid und wirbelte ihn im Walzerschritt um den Metallschreibtisch. »Der Kerl macht den Abgang, und wir wissen, wer’s getan hat.«
Nolan schüttelte lachend den Kopf. »Was bist du doch für ein abgebrühtes Arschloch.« Dann drehte er sich auf dem Absatz um. Auf dem Weg in sein eigenes Büro machte er ein paar Tanzschritte.
Eine Woche später flogen Waltemeyer und ein stellvertretender Staatsanwalt nach Salt Lake City. Dort hatte ein aufrechter Bürger, eine Stütze der Gesellschaft, seinem besten Freund gestanden, wegen eines vor dreizehn Jahre in Baltimore begangenen Mordes auf der Fahndungsliste zu stehen. Daniel Eugene Binick lebte seit zwölf Jahren unter falschem Namen in Utah. Der Einundvierzigjährige hatte sich vor Kurzem scheiden lassen und arbeitete als Suchtberater für Drogen- und Alkoholabhängige. Das Foto auf dem Steckbrief »Gesucht wegen Mordes« im Dezernat zeigte ihn als jungen, rücksichtslosen Kerl. Im Jahr 1975 hatte Daniel Eugene Binick langes, strähniges Haar gehabt, einen dicken Schnauzbart und ein ansehnliches Vorstrafenregister. Ende der Achtziger trug er sein Haar kurz geschnitten und leitete die Ortsstelle der Anonymen Alkoholiker. Nach einwöchiger Ermittlung konnte Waltemeyer zwar nur noch einen einzigen Zeugen des bewaffneten Raubüberfalls auf eine Bar finden, doch das genügte. Es war eine Aufklärung, wie sie im Buche steht, süß und befriedigend.
Anfang Mai ist ihre Rate auf satte 60 Prozent angestiegen. Außerdem haben sie ihre Überstunden und Gerichtskosten – zumindest vorübergehend – so weit zusammengestaucht, dass es den oberen Rängen einfach auffallen muss. D’Addario ist damit zwar noch nicht vollständig gerettet, steht aber zumindest besser da. Jedenfalls glauben das seine Männer.
Und so kommt es im Büro des Morddezernats zu einem Intermezzo, in dem Jay Landsman der gehobenen Stimmung ihrer Schicht mit einem Witz auf Kosten D’Addarios Rechnung trägt – was einen Monat zuvor nicht einmal er gewagt hätte.
Spät nachmittags sitzen D’Addario, Landsman und McLarney in einer Gruppe vor dem Fernseher. Der Lieutenant und McLarney blättern in den Dienstplänen, während sich Landsman in die gynäkologischen Mysterien eines Magazins für Fleischbeschau vertieft hat. Wie es das Schicksal will, wandert in diesem Augenblick Colonel Lanham durch den fünften Stock und trifft auf seine Mordermittler. Alle drei nehmen Haltung an.
Landsman wartet gut drei Sekunden, dann reicht er das im Centerfold aufgeschlagene Magazin an Gary D’Addario weiter.
»Hier ist dein Magazin, Lieutenant«, sagt er. »War nett, dass du’s mir ausgeliehen hast.«
Im Reflex streckt D’Addario die Hand danach
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