Homicide
gut, sagte er, ich mach’ es selbst.
Im Verlauf der Vernehmung sah McLarney dann aber mehrmals, dass Waltemeyer ihn vom Flur aus anstarrte. Kaum hatte er die Zeugenbefragung beendet, kam Waltemeyer ins Büro, zeigte mit dem Finger auf McLarney und redete sich in Rage.
»Verdammt, ich beherrsche meinen Job, und wenn du meinst, ich könnte das nicht, zur Hölle mit dir«, sagte er zu McLarney, der ihn mit distanzierter Ehrfurcht ansah. »Wenn du mir nichts zutraust, dann schick mich doch in das verdammte Revier zurück.«
Als Waltemeyer davonstürmte, sah McLarney, dass sich seine anderen Detectives in den Ärmel bissen, um nicht laut loszuprusten.
Typisch Waltemeyer. Er arbeitete am härtesten von allen in McLarneys Truppe, war ein hartnäckiger, energischer und kluger Ermittler, trotzdem hielt man ihn an zwei von fünf Tagen für einen chronischen Psychopathen. Der in einer großen deutschen Familie in Southwest Baltimore geborene Donald Waltemeyer war eine Quelle endloser Freude für McLarney, der sich in einer ruhigen Schicht einen Spaß daraus machte, ihn gegen Dave Brown aufzuhetzen. Wenn Brown sich darauf einließ, war das Ergebnis in der Regel besser als Fernsehen.
Waltemeyer war von massiger Statur, hatte ein rötliches Gesicht und einen dichten, kohlschwarzen Haarbausch. Seinen peinlichsten Augenblickim Morddezernat hatte er eines Morgens beim Appell erlebt: Ein Sergeant las die Meldung vor, Waltemeyer habe haushoch den Ähnlichkeitswettbewerb mit dem Schauspieler und Komiker Howard Shemp für sich entschieden. Waltemeyers wohlüberlegtes Urteil lautete, dass der Autor dieses kleinen Artikels nur so lange überleben würde, wie er anonym blieb.
Weder seine Launen noch sein Aussehen hatten Waltemeyer daran gehindert, im Southern District ein erstklassiger Polizist zu werden. Er selbst sah sich immer noch am liebsten in der Rolle der Streife, die an vorderster Front steht. Noch lange nach seinem Wechsel ins Morddezernat betonte er gern, wie eng der Kontakt zu seinen Kumpels im District geblieben sei, und oft verschwand er mitten in der Nacht mit einem Cavalier, um dort die alten Treffpunkte aufzusuchen oder beim Umtrunk nach einem Schichtwechsel mitzumachen. Es war, als würde er sich irgendwie ein bisschen schämen, ins Morddezernat gegangen zu sein, als müsste er sich als echter Cop dafür entschuldigen. Die Spur von Verlegenheit, die Waltemeyer empfand, weil er Detective geworden war, war das Erste, was an ihm auffiel.
Im letzten Sommer hatte er es sich einmal nicht nehmen lassen, mit Rick James zum Mittagessen am Lexington Market zu gehen, wo die beiden sich an einem Straßenverkauf Thunfischsandwichs kauften. So weit, so gut. Doch anstatt zurück ins Büro fuhr der ältere Detective zum Union Square und parkte den Cavalier vor seinem alten Streifenposten.
»So«, sagte Waltemeyer, schob den Fahrersitz zurück und legte sich ein Taschentuch auf die Hose. »Jetzt essen wir mal wie richtige Polizisten.«
Nach McLarneys Ansicht war das unerschütterliche Festhalten am Verhaltenskodex eines Streifenpolizisten Waltemeyers einzige Schwäche. Ein Morddezernat ist eine Welt für sich, und was im District funktioniert, muss nicht unbedingt auch im Präsidium klappen. Anfangs hatten beispielsweise Waltemeyers schriftliche Berichte lediglich Revierqualität – ein typisches Problem von Männern, die mehr Zeit auf den Straßen verbracht hatten als an der Schreibmaschine. Im Morddezernat aber spielten Berichte eine entscheidende Rolle. Als McLarney Waltemeyer gegenüber jedoch nur einmal erwähnt hatte, wie wichtigdie schlüssige Dokumentation eines Falls sei, konnte er fasziniert beobachten, wie sein neuer Detective systematisch und erfolgreich daran arbeitete, seine Schreibkünste zu verbessern. Damals hatte McLarney zum ersten Mal geahnt, dass Waltemeyer ein verdammt guter Detective werden würde.
Heute konnte niemand mehr Waltemeyer etwas beibringen, was die Bearbeitung von Mordfällen betraf, auch McLarney nicht. Wenn er noch etwas lernte, dann nur bei den Ermittlungen selbst, und nur ein Fall wie Geraldine Parrish konnte ihn in die Riege der Fortgeschrittenen befördern.
Eigentlich war der Fall schon vom März, aber damals hatte niemand erkannt, welche Dimension er annehmen würde. Anfangs schien es sich lediglich um eine normale Erpressung zu handeln: Eine achtundzwanzigjährige Heroinsüchtige hatte behauptet, ihr Onkel verlange 5.000 Dollar von ihr, um zu verhindern, dass ein Auftragskiller sie
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