Homicide
gelegt, und bevor das hier zu Ende ist, wird man ihnen vermutlich noch weitere vorwerfen. Es ist an der Zeit, uns zu erzählen, was passiert ist …«
Geraldine Parrish starrt zur Decke, dann fängt sie an, unzusammenhängendes Zeug zu brabbeln.
»Geraldine …«
»Ich weiß nicht, wovon Sie reden, die Herren von der Poo-li-zeii«, sagt sie plötzlich. »Ich habe niemanden erschossen.«
Schließlich sitzt Geraldine – die Detectives haben die Hoffnung auf eine schlüssige Aussage inzwischen aufgegeben – allein im Vernehmungsraum und wartet, dass die Papiere fertig ausgestellt sind, ehe sie ins städtische Gefängnis überstellt wird. Als Jay Landsman an dem Einwegspiegel vorbeigeht und hineinspäht, hat sie den Kopf auf den Tisch gelegt.
»Ist sie das?«, fragt Landsman, der gerade zur Spätschicht gekommen ist.
»Ja«, antwortet Eddie Brown. »Das ist sie.«
Landsmans Gesicht verzieht sich zu einem bösartigen Grinsen, dann versetzt er der Metalltür mit der offenen Handfläche einen kräftigen Schlag. Geraldine fährt hoch.
»Hhhoooooooaaaa.« Landsman gibt sein Bestes, um zu heulen wie ein Gespenst. »Hhhoooooaaa, Mooorrrrd …. Mooooorrrrd …«
»Bravo, Jay. Du hast es tatsächlich geschafft.«
Geraldine Parrish kriecht auf allen vieren unter den Tisch und fängt an zu blöken wie eine wild gewordene Ziege. Landsman ist von sich begeistert. Er fährt mit seinem Gespenstergeheul fort, bis Geraldine bäuchlings auf dem Boden liegt und die Metallbeine des Tischs anbellt.
»Hhhoooooooaaaa«, heult Landsman noch einmal.
»Aaaaaaahhhh«, schreit Geraldine.
»Hhhoooooooaaaa.«
Während Landsman in der Pose eines siegreichen Helden ins Büro zurückschlendert, bleibt Geraldine laut wimmernd auf dem Boden liegen.
»So«, sagt er mit einem boshaften Grinsen, »ich wette die Verteidigung plädiert auf geistige Unzurechnungsfähigkeit.«
Wahrscheinlich. Obwohl alle, die Geraldine Parrishs Darbietung sehen, inzwischen nicht mehr an ihrer Zurechnungsfähigkeit zweifeln. Denn ihr Theater, dieses sich Krümmen und Winden auf dem Boden, ist nur die inszenierte, naive Version einer wirklichen Erkrankung, eine insgesamt peinliche Vorstellung, vor allem, weil alles andere darauf hindeutet, dass die Frau nur auf ihren Vorteil aus ist, dass sie manipuliert und jeden Winkel ausmisst. Ihre Verwandten haben den Detectives bereits erklärt, sie werde sich bestimmt damit rühmen, unangreifbar zu sein, dass sie töten könne, ohne bestraft zu werden, weil ihr notfalls vier Ärzte eine psychische Erkrankung bescheinigen würden. Die Vorstellungen einer Soziopathin? Vielleicht. Der geistige Zustand eines Kindes? Vermutlich. Aber eine echte Gestörte?
Eine Woche zuvor, noch bevor die Durchsuchungsbefehle getippt waren, hatte man Waltemeyer das psychologische FBI-Profil einer klassischen Schwarzen Witwe gezeigt. Es war von der Abteilung für Verhaltensforschung der Quantico Academy erstellt worden. Demnach war die typische Serienmörderin dreißig Jahre oder älter, musste nicht unbedingt attraktiv sein, bemühte sich aber sehr um eine übertriebene sexuelle Ausstrahlung und richtete sich entsprechend her. Wahrscheinlich sei die Frau eine Hypochonderin und stelle sich als Opfer dar. Sie erwarte eine Sonderbehandlung und schmolle, wenn sie ausbliebe. Außerdemleide sie an einer völligen Überschätzung ihrer Macht über andere Menschen, insbesondere über Männer. Gemessen an diesem Profil schien Geraldine Parrish das Produkt der größten Castingagentur des Landes zu sein.
Nach der Vernehmung begleiten Roger Nolan und Terry McLarney Geraldine Parrish zum Stadtgefängnis. Als sie durch den Gang im fünften Stock gehen, ist Nolan direkt hinter ihr.
»Kurz vor dem Aufzug bleibt sie plötzlich stehen und beugt sich nach unten«, erzählt Nolan später seinen Kollegen, »als wollte sie, dass ich auf ihren fetten Arsch rumpelte. Ich sag euch, darauf hatte sie es angelegt … Sie hat sich wohl vorgestellt, wenn ich ihren Hintern spüre, macht mich das so an, dass ich mich in sie verliebe, Terry McLarney mit seiner eigenen Waffe erschieße und dann in einem Chevrolet mit ihr in den Sonnenuntergang reite.«
Nolans psychologische Deutung mag dem, was er erlebt hat, gerecht werden, doch für Waltemeyer hat die lange Reise in den Geist und die Seele von Geraldine Parrish gerade erst begonnen. Und während sich die anderen anwesenden Detectives in dem Glauben wiegen, sie würden diese Frau bereits durch und durch kennen, bleibt es
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