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Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
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jenseits der Polizeiabsperrung blickt. »Ich möchte, dass der Tote so schnell wie möglich weggeschafft wird.«
    »Kümmern Sie sich nicht drum«, sagt Rich Garvey.
    »Ich hab hier nur sechs Männer«, erwidert der Lieutenant. »Ich würde gern Verstärkung anfordern, aber dann steht der andere Sektor womöglich ohne Leute da.«
    Garvey verdreht die Augen. »Zum Teufel mit den Leuten«, sagt er leise. »Die werden schon keinen Mist machen.«
    Was sie auch nicht tun. Nach seinen paar Hundert Tatorten hört Garvey den Mist gar nicht mehr, der aus der Menge zu ihnen herübergeschleudertwird. Nach Ansicht eines Detective können sich die Arschlöcher ruhig die Mäuler zerreißen, solange sie einem nicht im Weg stehen. Und wenn einem dann doch mal jemand in den Tatort läuft, schleudert man ihn eben mit dem Arsch an den Funkwagen und ruft eine Wanne. Ist weiter kein Problem.
    »Warum deckt ihr den Jungen nicht zu und zeigt ein bisschen Respekt vor dem Toten«, ruft ein dickes Mädchen auf der anderen Seite des Cavalier.
    Die Menge schreit zustimmend, und das Mädchen setzt ermutigt noch eins drauf. »Für euch ist der bloß ein weiterer toter Nigger, was?«
    Als ein Uniformierter eine weiße Plastikplane über Kopf und Torso des Opfers zieht, wendet sich Garvey mit finsterem Blick zu Bob McAllister um.
    »Immer mit der Ruhe«, sagt McAllister, der schon ahnt, dass sein Partner wütend ist. »Ein bisschen Anstand ist durchaus angebracht.«
    Der Tote bleibt auf dem Pflaster liegen wie ein Stück Strandgut, weil die Spurensicherung von einem Einsatz am anderen Ende der Stadt noch auf dem Weg hierher ist. Ein heißer Sommertag im August, und es stehen nur vier Labortechniker zur Verfügung, eine Folge der niedrigen kommunalen Tarife, die nicht gerade dazu animieren, einen Beruf auf dem rasch wachsenden Gebiet der Beweismittelverfahren zu ergreifen. Und obwohl diese fünfzigminütige Verspätung als weitere Demonstration der auf den Straßen Baltimores grassierenden weißen rassistischen Polizeiverschwörung aufgefasst wird, empfindet Garvey kein echtes Bedauern. Sie können mich alle mal, denkt er. Der Junge ist tot, und daran ist nichts zu ändern. Wenn sie meinen, ein erfahrener Mordermittler werde einen Tatort freigeben, um einen halben Block wild gewordener Pimlico-Kids zu beruhigen, dann haben sie einfach keine Ahnung.
    »Wie lange wollt ihr diesen Schwarzen noch auf der Straße liegen lassen«, brüllt ein anderer Anwohner. »Ist euch wohl scheißegal, wer ihn so sieht, was?«
    Der junge Lieutenant hört die aufgebrachten Stimmen, blickt auf die Uhr, aber Garvey schweigt. Er nimmt die Brille ab, reibt sich die Augen und geht zu dem Toten. Langsam hebt er das weiße Stück Plastik von seinem Gesicht, blickt es eine halbe Minute an, dann lässt er die Plane wieder sinken und geht weg. Ein Akt der Inbesitznahme.
    »Verdammt, wo bleibt die Spurensicherung?«, fragt der Lieutenant und fingert am Mikro seines Funkgeräts herum.
    »Zum Teufel mit diesen Arschlöchern«, sagt Garvey. Es irritiert ihn, dass er sich überhaupt damit befassen muss. »Das ist unser Tatort.«
    Dabei gibt es kaum Spuren. Ein junger Dealer namens Cornelius Langley ist mitten am Tag auf dem Gehsteig vor dem 3100er-Block in der Woodland Avenue niedergeschossen worden, und unter den Gaffern findet sich niemand, der nach vorn tritt, um zu sagen, was er weiß. Aber es ist der einzige Tatort weit und breit, und als solcher ist er eine Immobilie, die jetzt Garvey und McAllister gehört. Was also wollen die überhaupt noch hier?
    Es dauert noch weitere zwanzig Minuten, bis der Mann von der Spurensicherung da ist, aber wie nicht anders zu erwarten, verliert die Menge schon lange vorher das Interesse an der Auseinandersetzung. Als sich der Labortechniker schließlich hektisch daranmacht, den Tatort zu fotografieren und die 32er-Hülsen einzutüten, beschränken sich die Anwohner der Woodland Avenue bereits wieder darauf, das Geschehen zu kommentieren und es mit beiläufiger Neugier zu verfolgen.
    Doch kaum haben die Detectives letzte Hand angelegt, teilt sich auf der anderen Straßenseite die Menge, um der aufgeregten Mutter Platz zu machen, die bereits untröstlich weint, bevor sie auch nur einen Blick auf ihren Sohn geworfen hat. Ihr Erscheinen beendet den Waffenstillstand und bringt die Leute wieder in Bewegung.
    »Warum lasst ihr sie zusehen?«
    »He!, das ist die Mutter, Alter.«
    »Ist denen doch egal. Immer dieselbe Scheiße mit diesen abgebrühten

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