Homicide
zweite Adresse liefert den Todesschützen, einen kurz gewachsenen kleinen Soziopathen namens Westley Branch.
Die Tatwaffe, ein 38er-Revolver, war noch nicht gefunden, und anders als seine Mitverdächtigen verweigerte Branch im Vernehmungsraum jede Aussage, sodass sie kaum etwas gegen ihn in der Hand hatten. Aber das änderte sich drei Tage später, als die Labortechniker feststellten, dass Fingerabdrücke auf einer Dose Colt 45, die in der Bar neben der Kasse gestanden hatte, mit denen Branchs übereinstimmten.
Ein Treffer aus dem Labor, eine Kfz-Nummer, kooperierende Zeugen – Garvey war wirklich berührt worden. Eine göttliche Hand hatte auf ihm gelegen, als er mit einem Zivilfahrzeug kreuz und quer durch die Stadt gerauscht war und aus jedem Mordfall einen Haftbefehl gemacht hatte. Schon allein die passenden Fingerabdrücke verlangten eine Art alttestamentarisches Opfer. Zumindest hätte Garvey eine Jungfrau oder einen Polizeischüler oder sonst etwas opfern müssen, was in Baltimore als Ersatz für ein makelloses Kalb aufzutreiben war. Priesterliche Segensworte, ein wenig Feuerzeugbenzin – und der Große Boss dort oben wäre besänftigt gewesen.
Stattdessen kehrte Garvey einfach an seinen Schreibtisch zurück und nahm Anrufe entgegen – der unbesonnene Akt eines Mannes, der nicht darüber nachdenkt, was das Karma verlangt.
Deshalb hat er jetzt, als er über der sterblichen Hülle eines Dealers aus Pimlico steht, nicht das Recht, die Götter zu beschwören. Er hat nicht das Recht zu glauben, dass der schlaksige Typ, der gerade auf dem Weg zum Präsidium ist, etwas über diesen Mord weiß. Er hat kein Recht zu hoffen, dass der Mann wegen des kleinen Tütchens Dope in seiner Tasche seine zur Bewährung ausgesetzte fünfjährige Strafe abbüßen muss. Und zweifellos hat er keinen Grund anzunehmen, dass dieser Mann einen der Todesschützen namentlich kennt, weil sie gemeinsam eine Strafe im Jessup-Gefängnis abgesessen haben.
Doch eine Stunde, nachdem der Tatort in der Woodland Avenue geräumt ist, sitzen Garvey und McAllister im großen Vernehmungsraum ihrem äußerst kooperativen Gast namens Reds gegenüber und schreiben fieberhaft mit.
»Ich bin auf Bewährung«, ruft der Mann Garvey ins Gedächtnis. »Bei einer Anklage bin ich dran.«
»Reds, ich muss erst sehen, wie Sie sich uns gegenüber in dieser Sache verhalten.«
Der Schlaksige nickt, womit er die unausgesprochene Übereinkunft akzeptiert. Bei einem Kapitalverbrechen müssten sie sich für solch einen Deal an einen Staatsanwalt der Stadt wenden. Bei einem minderen Vergehen wie Drogenbesitz aber kann jeder Detective selbst entscheiden und eine Anklage durch ein kurzes Telefonat mit einem Staatsanwalt vom Bezirksgericht abwenden. Noch während Reds ohne Einschränkungen den Mord in der Woodland Avenue schilderte, sprach ein Detective des Morddezernats mit dem Gerichtsbeauftragten des Northwest District, um dessen Zustimmung für die Freilassung des Mannes ohne Kaution zu erhalten.
»Wie viele waren es?«, fragt Garvey.
»Drei, würde ich sagen. Aber ich kenne nur zwei.«
»Wie heißen sie?«
»Der eine heißt Stony. Er ist mein Rappartner.«
»Wie lautet sein richtiger Name?«
»Das weiß ich nicht.«
Garvey schaut ihn ungläubig an. »Er ist Ihr Rappartner, und Sie wissen nicht, wie er heißt?«
Reds lächelt. Ertappt bei einer dummen Lüge.
»McKesson«, sagt er. »Walter McKesson.«
»Und der andere?«
»Ich kenne ihn nur als Glen. Er hängt normalerweise an der North Avenue, Ecke Pulaski rum. Ich glaube, Stony arbeitet zurzeit für ihn.«
Der kleine Glen Alexander, Senkrechtstarter an den Fixertreffs der West North Avenue. Und McKesson ist ebenfalls kein Versager. 1981 wurde er in einem Mordprozess freigesprochen. Das und noch mehr hat Garvey in einer halben Stunde am BPI-Computer herausgefunden. Alexander und McKesson betrieben ihr Geschäft oben in Pimlico, gaben an alle ihre Freunde auf der Park Heights kostenlos Proben aus, um ihren Marktanteil ins Territorium eines anderen auszudehnen. Cornelius Langley, Hilfsbursche eines der Stammdealer in Pimlico, hatte sich dagegen gewehrt, und an diesem Morgen war es auf der WoodlandAvenue zwischen Langley und Alexander zu einem Wortwechsel gekommen. Wie MacArthur zog Glen ab, erklärte, er werde zurückkommen, und wie MacArthur tat er das auch.
Als der goldfarbene Volvo in der Woodland Avenue stehen blieb, kam Reds gerade aus den Palmer Court Apartments, wo er sich sein Dope geholt
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