Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
Vom Netzwerk:
tatsächlich einem Insassen in den Arrestzellen vom Southern District einen kurzen Besuch abgestattet hat. Wo die Frau danach hingegangen ist, weiß man nicht. Am späten Nachmittag meldet sich dann die Familie, und Brown erfährt den Rest. Wie er inständig gehofft hatte, redet das brave Landvolk von South Baltimore miteinander und mit der Polizei und plaudert sämtliche relevanten Tatsachen und Gerüchte aus.
    Kurz nachdem die Fernsehsender das Opfer identifiziert hatten, erhielt die Nichte der Toten einen Anruf von Freunden drüben in Helen’s Hollywood Bar auf dem Broadway in Fell’s Point. Die Barkeeperin und der Inhaber des Lokals kannten Carol, und beide erinnern sich daran, dass sie gegen ein Uhr in der Nacht mit einem Kerl namens Rick dort auftauchte. Er habe lange, ungewaschene blonde Haare gehabt und einen schwarzen Sportwagen gefahren.
    Kurze Zeit später ruft wieder jemand von der Familie an und hat noch mehr zu erzählen: Bevor Carol an jenem Abend in die Bar gegangen sei, habe sie noch eine Freundin drüben in Pigtown besucht, kurz nach Mitternacht, um sich ein bisschen Marihuana zu besorgen. Brown und Worden holen sofort ein Auto aus der Garage und fahren in die South Stricker Street. Die Freundin bestätigt Carols Besuch, sagt aber, dass sie den Typen, der Carol gefahren habe, nicht genau gesehen habe. Er sei im Wagen geblieben. Aber er habe jung und mit seinen langen blonden Haaren etwas schmuddelig gewirkt. Das Auto sei blau oder grün gewesen. Vielleicht eher blaugrün. Auf keinen Fall schwarz.
    Am Abend im Helen’s am Broadway erfahren die Detectives von den Stammgästen und Angestellten kaum mehr. Der Typ hatte blonde Haare, strähnig, aber leicht gelockt. Und einen Schnauzbart. Eher schmal.
    »Wie groß?«, fragt Brown die Barkeeperin. »So wie ich?«
    »Nein«, sagt sie. »Kleiner.«
    »Etwa so wie der da?«, fragt er und deutet auf einen Gast.
    »Vielleicht noch ein bisschen kleiner.«
    »Und der Wagen?«
    Der Wagen. Nichts ist für Brown und Worden frustrierender als sich anzuhören, wie die Leute das Auto beschreiben, das Carol Ann Wright überfuhr. Die Frau in der Stricker Street sagt, es sei ein blauer oder grüner Kleinwagen gewesen. Der Geschäftsführer der Bar meint, es sei ein schwarzes, sportliches Auto gewesen, ein Cabrio mit einem runden Emblem vorn auf der Motorhaube, wie bei einem 280Z. Nein, sagt die Barkeeperin, es hatte solche Türen, die nach oben aufgehen, wie Flügel.
    »Flügeltüren?«, fragt Brown ungläubig nach. »Wie bei einem Lotus?«
    »Ich weiß nicht, wie man die nennt.«
    »Sind Sie sicher?«
    »Ich glaube schon.«
    Man kann die Aussage der Angestellten nur schwer abtun, schließlich ist sie als Einzige kurz vor Schließung des Lokals hinausgegangen und hat gehört, wie der Typ gesagt hat, er sei Automechaniker, Getriebespezialist, und bastle selbst an seinem Wagen.
    »Er war echt stolz darauf«, sagt sie zu Brown.
    Aber noch schwerer fällt es zu glauben, dass ein schmuddeliger Autofreaknamens Rick in einem 60.000 Dollar teuren Lotus mit Sonderausstattung in South Baltimore herumfährt und mit Billy-Girls Spritztouren zum Southern District macht. Wenn das so ist, denkt Brown, dann ist Donald Worden mein Liebessklave.
    Besonders ärgerlich für die Detectives ist, dass sie diesen Zeugen die Aussagen über den Mann nicht annähernd abnehmen können, wenn sie nicht mal in der Lage sind, den Wagen genau zu beschreiben – den Wagen, ein konkretes Objekt mit Marken- und Modellname in Chrom. Es besteht Einigkeit über das schulterlange blonde Haar, aber manche sagen, es sei glatt, andere, es sei gelockt. Nur die Hälfte erwähnt den schmalen Schnauzbart, und über Größe und Gewicht des Typen sind sie sich völlig uneinig. Augenfarbe? Keine Chance. Besondere Kennzeichen? Ach ja, er fuhr einen Lotus.
    Eine schlechte Personenbeschreibung ist eigentlich nichts Besonderes. Jeder gute Detective oder Staatsanwalt weiß, dass eine Identifizierung durch Fremde kaum als Beweis taugt. Bei so vielen Menschen, die einem Tag für Tag über den Weg laufen, können sich die wenigsten ein neues Gesicht merken. Deshalb nehmen viele erfahrene Detectives solche vorläufigen Beschreibungen gar nicht in ihre Berichte auf. Schließlich kommt es bei Gericht nicht gut an, wenn sich herausstellt, dass ein angeblich über eins achtzig großer und 110 Kilo schwerer Verdächtiger am Ende nur eins siebzig groß ist und 75 Kilo wiegt. Zudem haben Studien gezeigt, dass die Identifizierung

Weitere Kostenlose Bücher