Homicide
eines Menschen anderer Hautfarbe – Schwarzer durch Weiße, Weißer durch Schwarze – in der Regel äußerst unzuverlässig ist, weil es beiden Gruppen schwerfällt, die Mitglieder der anderen Gruppe auf den ersten Blick voneinander zu unterscheiden. Diejenigen, die am seltensten jemanden identifizieren können, sind – zumindest in Baltimore – die Koreaner, denen fast jeder zweiter Eckladen in der Innenstadt gehört. »Einel sieht aus wie del andele«, ist das Einzige, was sie sagen können, wenn sie zu einem Raub vernommen werden.
Bei diesem Fall aber müsste eigentlich alles anders sein. Zum einen identifizieren Weiße hier andere Weiße. Zum anderen hat sich der Mann über eine Stunde lang in der Bar aufgehalten, ist Carol nicht von der Seite gewichen und hat sich mit den anderen Gästen und dem Personal unterhalten. Alle erinnern sich daran, dass der Typ behauptete,Automechaniker und als solcher auf Getriebe spezialisiert zu sein, dass er Budweiser trank, erwähnte, dass eine bestimmte Bar in Parkville zum Verkauf stehe und sein Onkel eine Bar mit einem deutsch klingenden Namen in Highlandtown besitze, den sie alle vergessen haben. Sie erinnern sich auch noch daran, dass der Typ fast ausrastete, als Carol aufstand, um mit einer anderen Frau zur Musik aus der Jukebox zu tanzen. All das ist den Stammgästen vom Helen’s im Gedächtnis geblieben, und doch können sie Brown nur eine bruchstückhafte Beschreibung des Mannes liefern.
Frustriert geht Brown mit der Barkeeperin die Geschichte noch einmal durch und bespricht sich dann mit Worden, der hinten in der Kneipe beim Billardtisch steht.
»Das sind unsere besten Zeugen«, sagt Brown. »Und wir haben praktisch gar nix.«
Worden, der im Hintergrund am Münztelefon lehnt, sieht Brown an, als wollte er sagen: Wieso wir, Bleichgesicht?
»Das Problem ist, dass so kurz vor der Sperrstunde schon alle ziemlich zugedröhnt waren«, fährt Brown fort. »Für ein Phantombild können sie sich nicht genau genug an den Typen erinnern.«
Worden sagt nichts.
»Du glaubst auch nicht, dass es Zweck hat, einen Zeichner zu holen, oder?«
Worden sieht ihn zweifelnd an. Selbst bei guten Augenzeugen sehen die Phantombilder nie so aus wie der Verdächtige. Irgendwie ähneln alle Schwarzen Eddie Brown, und je nach Haarfarbe sehen alle Weißen aus wie Doppelgänger entweder von Dunnigan oder Landsman.
Brown bleibt hartnäckig. »Wir haben nicht genug für ein Phantombild, oder?«
Worden hält ihm die flache Hand hin. »Gib mir ’nen Quarter.«
In der Annahme, dass Worden telefonieren oder ein Stück aus der Jukebox spielen will, zückt Worden eine Fünfundzwanzig-Cent-Münze.
»Brown, du bist echt ein Idiot«, sagt Worden und steckt die Münze ein. »Trink dein Bier aus und lass uns gehen.«
Das ist das Schlimmste, was sich ein Ermittler vorstellen kann, dieSuche nach dem blonden Rick und seinem schwarzen oder vielleicht grünblauen Sportwagen ist die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Widerstrebend setzt Worden ein Fernschreiben mit einer Beschreibung für die Districts auf. Er hatte gehofft, verhindern zu können, dass die Informationen unkontrolliert herumschwirren, denn wenn der Verdächtige erfährt, dass sie ein paar Details von seinem Auto haben, wird er es vielleicht umspritzen oder abstoßen oder monatelang irgendwo in einer Garage verstecken. Der Wagen, das wissen beide Detectives, ist das entscheidende Beweismittel.
Im Idealfall werden die Fernschreiben stadtweit bei jedem Schichtwechsel gelesen und vielleicht sogar in ganz Maryland, jedenfalls dort, wo die Detectives das MILES-Computersystem nutzen. Und wenn ein Ermittler den Verdacht hat, dass sich der Gesuchte in einen anderen Bundesstaat abgesetzt hat, macht er vielleicht Nägel mit Köpfen und setzt die Sache ins Suchregister des FBI. Aber sowohl das staatliche als auch das nationale Netzwerk sind – wie fast das gesamte Strafverfolgungssystem – bis zum Aberwitz überlastet. In der Regel merkt sich ein Cop vom Appell nur die Red Balls – Morde an Polizisten, Kindermorde – und die gelegentliche witzige Bemerkung am Schluss. Kürzlich ließ es sich Jay Landsman zu Beginn einer Tagschicht nicht nehmen, ein Fernschreiben aus dem Baltimore County vorzulesen, in dem es um einen Diebstahl ging. Das Diebesgut bestand aus 2.000 Litern Eiscreme.
»Man geht davon aus, dass die Verdächtigen inzwischen erheblich dicker sind als vor der Tat.«
In den Polizeirevieren von Baltimore hat die Suche nach einem
Weitere Kostenlose Bücher