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Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
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Mörder eine gute Chance, beim Schichtwechsel zumindest vorgelesen zu werden, aber ob jemand auch tatsächlich zuhört, ist zweifelhaft. Brown und Worden kommt immerhin zugute, dass die junge Frau im Southern District überfahren wurde und nicht woanders. Die Detectives haben eine feste Meinung zu den Qualitäten ihrer Kollegen in einzelnen Districts: Die Cops vom Eastern bewachen einen Tatort besser als alle anderen, die vom Western haben anständige Informanten und im Southern und im Southeast gibt es immer noch ein paar Cops, die einem Suchbefehl nachgehen.
    In den nächsten Tagen bauen die Uniformierten in diesen Districts Straßensperren auf und halten jeden an, der der Beschreibung auch nurannähernd entspricht. Die Ergebnisse landen auf Browns Schreibtisch, der die Namen und Kennzeichen mit dem Verkehrs- und Vorstrafenregister vergleicht. Brown prüft die vielen Daten sorgfältig. Aber es scheint keine Übereinstimmungen zu geben: Der eine hat ein schwarzes 280Z-Cabrio, aber schütteres braunes Haar, der andere hat einen Mustang mit ein paar Beulen am Kühlergrill, aber sein langes Haar ist rabenschwarz. Der hier hat langes blondes Haar, aber sein Trans Am hat eine leuchtende Kupferfarbe.
    Aber auch Brown und Worden verbringen die Tage und Nächte nach dem Mord eingezwängt in ihren Cavalier und gehen jedem Hinweis nach, den sie von der Familie des Opfers bekommen. Und jeden Tag kommt die Familie mit einem neuen Verdächtigen daher. Zunächst mal ist da dieser Typ draußen in Middle River, der wirklich Rick heißt und eine Woche vor der Tat nach Carol gefragt hat. Die Familie hat noch seine Telefonnummer.
    Als Brown und McLarney zu der Adresse in Middle River hinausfahren, öffnet ein Mann mit kurzen, schütteren Haaren die Tür. Macht nichts, denkt Brown voller Hoffnung, vielleicht hat er sie sich abgeschnitten. Aber im großen Vernehmungsraum des Präsidiums erfahren die Detectives, dass er in der Domino-Sugar-Fabrik in Locust Point arbeitet, und zwar nicht als Automechaniker. Hinzu kommt noch, dass sein einziger Wagen ein alter gelber Toyota ist. Brown sieht ihn sich auf dem Fabrikparkplatz an. Der Mann gibt bereitwillig zu, dass er Carol Wright auf dem Motorrad mitgenommen hat und mit ihr über die Fort Avenue gefahren ist, wirkt aber ehrlich überrascht, als er hört, dass sie tot ist.
    Ein anderer junger Mann, den die Streifen gestoppt haben, hat blondes Haar und das richtige Auto, das auf die Adresse seiner Mutter auf dem Washington Boulevard angemeldet ist, aber sein Alibi scheint wasserdicht zu sein. Ein dritter Billy ist ein Mechaniker, der Rick heißt und unten in Anne Arundel wohnt. Laut Carols Familie kannte er sogar einige ihrer Freunde. Brown überwacht zwei Tage lang das Haus und hält nach dem schwarzen Sportwagen Ausschau, und als er dann den Kerl zu fassen kriegt, erfährt er, dass die Familie ihn bereits angerufen hat.
    »Sie haben mir gesagt, dass Sie vielleicht vorbeikommen«, erklärt er Brown. »Was wollen Sie denn von mir wissen?«
    Billyland. Sie reden nicht nur gegenüber der Polizei, sie plappern auch untereinander – und zwar so viel, dass es die Ermittlungen behindert. Sobald ein Familienmitglied von einem potenziellen Verdächtigen erfährt, bittet ein anderes Familienmitglied den Freund eines Freundes, den Betreffenden zu fragen, ob er einen schwarzen Sportwagen hat, und wenn ja, warum er damit Carol Wright überfahren hat. Brown fährt noch zweimal nach South Baltimore, um der Familie einzuschärfen, mit niemandem über den Fall zu sprechen. Zweimal versprechen sie ihm, den Mund zu halten.
    Zwei Tage später sitzt Brown allein in einem Cavalier und wartet in einer Seitenstraße der Dundalk Avenue auf einen weiteren Verdächtigen. Er steht Stunden dort, trinkt Kaffee aus einem 7-Eleven, pflegt seinen Raucherhusten und beobachtet, wie die Billy-Boys aus ihren Autos aus- und einsteigen. Ein Detective hat nur selten die Zeit für eine solch endlose Überwachung, wenn er denn überhaupt die Geduld dazu hat. Aber im Moment hat Brown keine neuen Morde auf dem Schreibtisch, sodass er stundenlang bei laufender Klimaanlage im Wagen sitzen kann. Während er so mit Puderzucker von einem Donut am Schnauzbart dem Bluegrass auf dem Mittelwellensender lauscht, wird ihm klar, dass er seit seiner Zeit als Drogenermittler nicht mehr so lange ein Haus beobachtet hat. Am Ende dieses Tages ist er stolz auf sich, schließlich ist er mit Bedacht, Geduld und Entschlossenheit vorgegangen – eben so

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