Homicide
wie jeder richtige Detective.
Als nach zwei aufeinanderfolgenden Tagschichten im Cavalier klar ist, dass es nirgendwo in der Nähe des Hauses einen schwarzen Wagen gibt, schnappt sich Brown den Typen und befragt ihn. »Ja«, sagt der Verdächtige. »Sie haben mir gesagt, dass sie Ihnen vor ein paar Tagen meinen Namen gegeben haben. Aber warum, weiß ich nicht.«
Bereit, die Akte in der nächsten leeren Schublade verschwinden zu lassen, kehrt Brown ins Dezernat zurück. »Verschaff mir einen Mord in West Baltimore«, sagt er zu Worden. »Ich halte das mit diesen bescheuerten Weißen einfach nicht mehr aus.«
Worden ist an dem Fall drangeblieben, hat aber einen gewissen Abstand gewahrt. Auf der Suche nach einer Bar, die einen irgendwie deutsch klingenden Namen hat, ist er mit dem jüngeren Detective in Highlandtowen herumgekurvt. Und er hat mit Brown stundenlang vielederselben Häuser und Parkplätze beobachtet und nach dem mysteriösen schwarzen Wagen Ausschau gehalten. Aber Worden vermittelt durch seine Gegenwart eine Botschaft, die Brown instinktiv versteht.
»Möchtest du fahren?«, fragt Brown ihn, nachdem sie drei lange Stunden unten in Marley Neck eine Gartenwohnung ins Visier genommen haben.
»Es ist dein Fall«, antwortet Worden und tut dabei ganz unschuldig. »Was willst du?«
»Wir warten«, entscheidet Brown.
Aber auch nach einer Woche sind sie immer noch keinem Mörder auf der Spur, und der Fall Carol Ann Wright bleibt ein ungeklärter Todesfall, nicht einmal ein Mord. Und beide Männer wissen, dass das hier, wenn sie keinen neuen Hinweis bekommen, eine Herkulesaufgabe ist. Drei Tage zuvor traf im Dezernat ein Ausdruck von der Kfz-Meldestelle mit Namen und Adressen aller Besitzer eines 280Z in Zentral-Maryland ein. Selbst wenn ihre besten Zeugen mit dem Fabrikat recht haben, und selbst wenn ihr Mann als Besitzer ins Register eingetragen ist – die Computerliste ist über hundert Seiten lang.
Am 30. August bekommt Worden einen echten Red Ball, einen vierzehn Jahre alten Jugendlichen, der im Northwest mit einer Schrotflinte erschossen wurde, offenbar ohne jedes Motiv, als er von seinem Job in einem Fastfoodrestaurant nach Hause ging. Fünf Tage später beschäftigen sich Dave Brown und McLarney mit einer sechsundzwanzigjährigen Frau von der West Side, die seit einer Woche nicht gesehen wurde. Allerdings hat man zwei Junkies verhaftet, die ihren Wagen fuhren.
Neue Leichen. Neue Hinweise. Wenn man genau hinhört, ist von Browns Schreibtisch ein leises, mahlendes Geräusch zu hören: Der Fall Carol Wright hat einen mächtigen Getriebeschaden.
Donnerstag, 15. September
Der Tatort ist ein Keller, ein feuchter, völlig kahler Raum in der East Preston Street, wo ein älterer Weißer, bereits in Leichenstarre, ausgestreckt auf dem Boden liegt, zugedeckt mit ein paar Plastikplanen. Auf ihm liegen drei sechzig Zentimeter große Figuren aus Druckguss, die die Weisen aus dem Morgenland darstellen. Ja, ganz recht: die drei Weisen,diese guten Seelen, die Gold, Myrrhe und Weihrauch bei sich haben und alljährlich um die zu Weihnachten vor Kirchen aufgebauten, mit Weihwasser besprengten Krippen herumstehen. Ein hübsches, bizarres Bild, denkt Rich Garvey. Jemand hat dem Kopf dieses alten Mannes ein ziemlich dickes Loch verpasst, ihm sein Geld abgenommen, die Leiche in den Keller gezerrt, sie mit Plastikplanen bedeckt und die drei Weisen aus dem Morgenland daraufgelegt. Krippenszene nach East-Baltimore-Art.
Der Tote heißt Henry Plumer, und Garvey und Bob McAllister sehen sofort, dass den alten Mann etwas sehr Großes getroffen hat – eine 44er oder 45er wahrscheinlich, den Schmauchspuren nach aus kürzester Entfernung. Plumer war Ende sechzig und hat mindestens die Hälfte seines Lebens in der Stadt für Littlepage’s Furniture Geld eingetrieben. Den lieben langen Tag ist er im Ghetto rumgelaufen und hat die Monatsraten für Möbel und Haushaltsgeräte kassiert. Das meiste war mit anzahlungsfreien Krediten gekauftes Zeug, Lockangebote, die arme Leute dazu verleiten, zehn Dollar in der Woche zu zahlen, bis ihre Wohnzimmereinrichtung sie schließlich mehr kostet als eine Collegeausbildung. Der alte Mr. Plumer war so lange dabei gewesen, dass ihn die Leute auf seiner Strecke alle persönlich kannten und mochten. Wie er so den ganzen Tag mit seinem kleinen Inkassobuch in East Baltimore herumfuhr, war er so etwas wie eine Institution in dieser Gegend gewesen. Sogar Donald Kincaid kannte den Mann, weil seine
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