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Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
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Mutter noch in Collington im 900er-Block wohnte. Sie weigerte sich, ihre Wohnung auf der East Side aufzugeben, obwohl das Viertel immer weiter herunterkam.
    Garvey weiß bereits alles über Mr. Plumer, besser gesagt, alles, was in der Meldung zu der vermissten Personen stand, die die County-Polizei gestern per Fernschreiben rumgeschickt hatte. Sein Wagen war irgendwo in den Tiefen Baltimores verschwunden, und seine Familie war in Panik geraten. Garvey ist sich ziemlich sicher, dass er weiß, wer Mr. Plumer umgebracht hat – ein Kinderspiel, wenn der Besitzer des fraglichen Hauses ein Junkie mit einem langen Vorstrafenregister ist.
    Nach dem, was er bisher erfahren hat, gehört dieser zweistöckige Backsteinhaufen einem Süchtigen namens Jerry Jackson, der zu den Letzten gehörte, die Henry Plumer lebend gesehen haben. Offensichtlichist er zu seinem Putzjob im Rosewood Hospital aufgebrochen, als auf seinem Kellerboden noch Blut aus Plumers Leiche floss. Alles liegt so klar auf der Hand, dass man aus den Fakten auf einen gewissen Mangel an Intellekt bei dem fraglichen Hausbesitzer schließen kann – eine Vermutung, die mehr oder weniger bestätigt wird, als zwanzig Minuten nach dem Eintreffen der Detectives das Telefon im Erdgeschoss klingelt. Garvey springt die Treppe hinauf und hebt beim dritten Läuten ab.
    »Ja?«
    »Wer ist da?«, fragt der Anrufer.
    »Hier spricht Detective Garvey vom Morddezernat. Wer ist da?«
    »Jerry«, sagt die Stimme.
    Wie entgegenkommend. Ein Verdächtiger, der bei seinem eigenen Tatort anruft.
    »Jerry«, sagt Garvey, »wie schnell können sie herkommen?«
    »In etwa zwanzig Minuten.«
    »Dann warte ich.«
    Bei seiner ersten Aussage zur vorliegenden Sache fragt Jerry Jackson nicht einmal, was ein Detective in seinem Haus macht, ihm kommt nicht einmal in den Sinn, etwas abzustreiten oder Entsetzen und Betroffenheit vorzuspielen. Er legt auf, ohne auch nur die Spur von Erstaunen oder Besorgnis darüber gezeigt zu haben, dass in seinem Keller eine Leiche untersucht wird. Ebenso wenig scheint ihn zu interessieren, warum dort eine Leiche liegt. Garvey legt erst auf, als die Verbindung unterbrochen ist, erfreut über so einen aufrichtigen, kooperativen Hirntoten.
    »He!, Mac«, sagt er, während er zum Treppenabsatz geht. »Das war Jerry.«
    »Ehrlich?«, ruft McAllister vom Keller.
    »Ja. Er ist auf dem Weg hierher.«
    »Das ist nett«, erwidert McAllister trocken.
    Die Detectives setzen ihre Arbeit fort. Zwei Stunden später warten sie nicht mehr auf Jerry, der entgegen seiner scheinbaren Kooperationsbereitschaft immer noch nicht aufgetaucht ist. Am späten Abend fahren sie mit einem County-Detective im Schlepptau zur Fullerton Avenue und teilen der Familie Plumer mit, was geschehen ist, woraufhin die schon ältere Witwe blass wird und in Ohnmacht fällt. Amnächsten Morgen erliegt sie einem Herzinfarkt und wird so quasi zum zweiten Mordopfer.
    In den frühen Morgenstunden kehrt Jerry Jackson endlich zu seinem Haus in der Preston Street zurück, wo ihn einigermaßen bestürzt seine Frau empfängt, die überhaupt nichts davon hält, Leichen in ihrem Keller herumliegen zu haben. Sie hat Henry Plumer entdeckt und die Polizei gerufen, als sie von Freunden in der Nachbarschaft erfuhr, dass der alte Rateneintreiber vermisst und zuletzt bei seinem üblichen Stopp vor dem Haus der Jacksons gesehen wurde. Das Gerücht von dem Mord war inzwischen schon mehrmals um den Block gegangen, und eine Freundin hatte Mrs. Jackson gedrängt, in ihrem Keller nachzusehen. Auf halbem Weg die Treppe hinunter sahen die beiden bereits die Schuhe, die unter der Plane hervorlugten. Jerrys Frau blieb stehen, aber die Freundin konnte sich überwinden, weiterzugehen und die Plane hochzuheben. Sie sah sofort, dass es Mr. Plumer war und er schon entschieden besser ausgesehen hatte. In diesem Moment begriff Jerry Jacksons Frau, worauf die Sache hinauslief. Ohne auf die Rückkehr ihres Mannes zu warten, ging sie zum Telefon und wählte die 911.
    Und so ist, als Jerry Jackson nach Hause kommt und mit seiner Frau spricht, selbst ihm vollkommen klar, dass die Sache, wie immer sie gedacht war, ohne Zweifel schiefgelaufen ist. Aber er verschwindet nicht im Bauch von East Baltimore. Und er kratzt auch nicht ein paar Münzen für ein Busticket nach Carolina zusammen. Nein, das tut er nicht. Sein letzter Akt als freier Mann besteht darin, Rich Garvey anzurufen. Er würde gern über die Leiche in seinem Keller mit ihm sprechen.

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