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Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
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Tourist, der ab und zu mal vorbeikommt.
    Eine Leiche auf dem Weg zur Penn Street und ein Blutfleck auf staubigem Asphalt, und weit und breit niemand in Sicht, der auch nur entfernt als Zeuge in Betracht kommt. Was Pellegrini hat, ist eine leere Schrotpatrone, die in der Gasse um die Ecke liegt. Er hat eine Straße, die so dunkel ist, dass der Rettungswagen den Tatort für die Fotos ausleuchten muss. Etwa eine Stunde später wird Pellegrini der Schwester des Opfers in Jay Landsmans Büro gegenübersitzen, und sie wird ihn mit ein paar Gerüchten über gewisse Leute versorgen, die etwas mit der Schießerei zu tun haben könnten, vielleicht aber auch nicht. Und außerdem wird Pellegrini Kopfschmerzen haben.
    Theodore Johnson gesellt sich zu Stevie Braxton und Barney Erely auf dem weißen Viereck im Kaffeeraum. Braxton, der Junge mit dem langen Vorstrafenregister, der erstochen in einer Seitenstraße der Pennsylvania Avenue aufgefunden wurde. Erely, der Obdachlose, auf der Clay Street zu Tode geprügelt. Rote Namen ganz oben auf der Tafel mit Pellegrinis Initialen daneben, die vernachlässigten Opfer des ein Jahr währenden Feldzugs zur Aufklärung des Mordes an Latonya Wallace. Es ist schlicht und einfach eine Frage der Prioritäten in einer Notsituation, und Pellegrini kann damit leben. Schließlich ging es um eine vergewaltigte und ermordete Elfjährige, und weder Theodore Johnson noch beglichene Drogenschulden fallen da letztlich ins Gewicht. Den Toten von heute Abend wird das Dezernat vielleicht noch ein- oder zweimal durchrütteln, er wird ein oder zwei Runden im Vernehmungsraum mit ein paar widerstrebenden Zeugen bekommen. Aber dann wird der leitende Ermittler die Akte beiseitelegen.
    Monate später wird Pellegrini deswegen ein schlechtes Gewissen bekommen, Bedenken haben wegen der Zahl der Fälle, die für ein Kind geopfert wurden. Mit derselben Art von Selbstvorwürfen, die seine Gedanken zum Mord an Latonya Wallace beherrschen, wird sich Pellegrini fragen, ob er im Januar stärkeren Druck auf den Jungen in der Zelle vom Western District hätte ausüben sollen, der behauptete, einen der Schützen von der Kreuzung Gold und Etting Street zu kennen. Er wird sich fragen, ob er bei Braxtons Freundin hätte härter bleiben sollen, die der Mord offenbar nicht allzu sehr mitgenommen hatte. Und er wirdsich auch Gedanken machen wegen der Gerüchte, die Theodore Johnsons Schwester ihm gerade auftischt – Informationen, die nie richtig überprüft werden.
    Sicher, er könnte diesen Fall auf den Secondary abwälzen. Vernon Holley hat mit ihm den Tatort aufgenommen, und er würde es wahrscheinlich verstehen, wenn sich Pellegrini vor der Bearbeitung drücken würde, um sich weiterhin auf Latonya Wallace zu konzentrieren. Aber Holley ist noch neu in seinem Team, ein altgedienter schwarzer Detective, der als Ersatz für Fred Ceruti vom Raubdezernat hierher versetzt wurde. Vor ein paar Wochen hat er mit Rick Requer einen Mordfall übernommen, aber das reicht nicht als Einarbeitung, auch nicht bei einem so erfahrenen Ermittler wie Holley. Außerdem fehlte dem Team anfangs ein Mann. Dick Fahlteich war nach sechs Jahren im Morddezernat freiwillig zur Abteilung für Sexualdelikte übergewechselt. Das Leichenzählen war ihm am Ende an die Nieren gegangen. Obwohl er ein begabter Detective war, hatte er Jahr für Jahr weniger Einsätze übernommen und in einem Tempo gearbeitet, das andere in Landsmans Team bald mit dem von Edgerton verglichen. Der Arbeitsdruck und die Überstunden – zusammen mit einer nagenden Unzufriedenheit darüber, dass er mehrmals übergangen wurde, als eine Beförderung zum Sergeant anstand – hatten Fahlteich schließlich ungefähr zur selben Zeit wie Ceruti ans andere Ende des Flurs katapultiert. Aber Fahlteich hatte sich immerhin selbst dafür entschieden.
    Nein, überlegt Pellegrini, jetzt, wo sein Team nur noch aus drei Stammspielern und einem Neuzugang besteht, muss er den Fall Theodeore Johnson selbst übernehmen. Zuallermindest ist er es Holley schuldig, sich ein paar Tage mit der Sache zu beschäftigen. Anschauungsunterricht zum Thema Burn-out eignet sich nicht besonders, um einen neuen Mann einzuarbeiten.
    Pellegrini kämpft tapfer gegen seine eigenen Regungen an, nimmt den Tatort in der Durham Street mit dem üblichen Sachverstand auf und sucht dann im ganzen Block nach Zeugen, obwohl er im Grunde weiß, dass er keine finden wird. Holley seilt sich bald ab und fährt zurück, um Familienmitglieder

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