Homicide
Routine verschafft Worden eine gewisse Zufriedenheit, auch wenn die letzten drei Fälle nicht gerade die allergrößte Herausforderung oder besonders schwierig gewesen sind. Der erste war eigentlich ein Unfall: In einem Haus auf der West Side bewundern drei jugendliche Dealer die neue Saturday Night Special ihres Gastgebers, und plötzlich geht das Ding los, der Lauf auf die Brust des Jüngsten gerichtet. Der zweite war eine Prügelei in Highlandtown, ein Totschlag. Ein Billy-Boy liegt tot in der Lakewood Avenue in einem Hof, durch einen Faustschlag zu Boden gegangen und mit dem Kopfauf Beton aufgeschlagen. Der dritte war die Messerstecherei in der Pennsylvania Avenue und wartete noch darauf, dass Miss Leonore wieder auftauchte.
Nein, es war weniger die Qualität der Fälle, die von Wordens Rückkehr kündete, sondern vielmehr die Masse. Egal, ob ein Fall gelöst wurde oder nicht, beim Big Man war die Qualität immer gegeben. Monroe Street war wahrscheinlich seine beste Arbeit in langer Zeit. Aber ein Jahr zuvor war Worden geradezu zum Arbeitstier mutiert; McLarney erinnerte sich an diese Zeit wie ein Sportler an ein Meisterschaftsjahr. Damals war das Team zum großen Teil nach dem Prinzip vorgegangen: Gebt Worden den Fall. Er frisst alles. Weiter, weiter, gebt ihm diesen Fall, gebt ihm noch einen, und dann setzt ihn an die Akte, mit der Dave Brown und Waltemeyer immer noch zu kämpfen haben. Seht ihr? Es gefällt ihm.
Aber diese Jahr war völlig anders. Monroe Street, die Sache mit Larry Young, die offenen Mordfälle von März und April – das Jahr hatte sich zu einer zermürbenden Geduldsprobe entwickelt, und auch im Sommer wies nichts darauf hin, dass Wordens Pechsträhne mal an ein Ende kommen würde.
Ende August und Anfang September traf ihn der kalte, harte Schlag der Realität in Gestalt eines Vierzehnjährigen namens Craig Rideout, der im frühen Morgenlicht voller Schrot auf einem Rasen in Pimlico lag, schon seit Stunden tot, als jemand die Leiche fand und einen Cop herbeirief. Worden schuftete tagelang, bis er die Spur zu einer Gang zurückverfolgt hatte, die in Northwest mit einem roten Mazda und Schrotflinten Raubüberfälle verübte. Gespräche mit Informanten in seinem alten Revier und Überprüfungen anderer bewaffneter Raubüberfälle führten schließlich zu einem knallharten Typen aus Cherry Hill, der in seinem Leben noch keinen Dollar Steuern bezahlt hatte, aber mit einem Vorstrafenregister aufwarten konnte, zu dem auch Haftstrafen wegen bewaffneter Raubüberfälle gehörten. Worden stellte nicht nur eine Verbindung zwischen dem Kerl und dem roten Mazda her, der überall in Northwest gesehen worden war, sondern erfuhr auch, dass der Junge eine Menge Zeit mit Leuten rund um die untere Park Heights Avenue in der Nähe des Tatorts verbrachte.
Ein paar Nächte lang stellte sich Worden vor das Haus, in dem derJunge wohnte, und wartete, ob sich nicht eine Gang, die aussah, als wollte sie zu einem Raubüberfall losziehen, um den besagten Mazda scharte. Ohne etwas Richtiges in der Hand zu haben, konnte Worden nur hoffen, dass sein Mann wieder mit der Schrotflinte zu einem neuen Raubüberfall aufbrach. Doch dann machte ihm das unerklärliche Vorgehen eines anderen Detective einen Strich durch die Rechnung: Als Worden zwei Wochen nach dem Mord an dem jungen Rideout zur Spätschicht aufkreuzte, erfuhr er, dass Dave Hollingsworth, ein Detective aus Stantons Truppe, der einen anderen Schrotflintenmord in Northwest bearbeitete, nach Cherry Hill gefahren war und Wordens Verdächtigen vernommen hatte. Die Raubüberfälle mit Schrotflinten in Northwest hörten schlagartig auf. Niemand sprach mehr von einem roten Mazda, keine Spur mehr von seinem Verdächtigen in der Gegend von Park Heights.
Es sollten einige Monate vergehen, ehe Worden wieder von seinem besten Verdächtigen hörte. Diesmal spielt der Junge aus Cherry Hill die andere Rolle im Tagesbericht. Er ist die Leiche auf dem Asphalt, erschossen von Unbekannten in einer Straße, die vom Martin Luther King Boulevard abzweigt. Der Rideout-Mord war und blieb rot und wurde für Worden zu einer Art Sinnbild. Wie bei allem, was er anpackte, hatte Worden auch hier gute Polizeiarbeit geleistet, nur dass sie ein schlechtes Ende genommen hatte, und wie alle anderen Fälle in diesem Jahr blieb auch dieser ungelöst.
Aber der Rideout-Fall war im Grunde nur ein zarter Faustschlag. Mitte September kam ein schwerer Überraschungstreffer in einem überfüllten
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