Homicide
hier vor Gericht zu erscheinen und Ihnen seine Version vom Tod von Lena Lucas zu erzählen, Ihnen zu erklären, wie aufgrund fehlerhafter Ermittlungen der Falsche verhaftet wurde, Ihnen zu versichern, dass er auf keine Weise, in keiner Hinsicht, in keiner Beziehung etwas mit diesem Verbrechen zu tun hat«.
Mein Mandant ist kein Heiliger, sagt Polansky. Drogen? Ja, er hat mit Drogen gehandelt. Eine Pistole Kaliber 38? Ja, er hatte eine Pistole. Sie werden gute und schlechte Dinge über Robert Frazier hören, deklamiert er, aber macht ihn das etwa zum Mörder?
»Bei einigen Punkten dieses Falls«, sagt Polansky, »werden wir von einem Mann namens Vincent Booker sprechen, der Charlene Lucas kannte und Zugang zu ihrer Wohnung hatte … Nun, wir sind hier nicht bei
Perry Mason,
und es wird hier niemand im Gerichtssaal aufspringen und gestehen, dass er der Mörder ist. Doch die Geschichte, die Robert Frazier uns hier erzählen wird, liefert etliche Hinweise, dass Vincent Booker der eigentliche Täter ist.«
Polansky fährt mit seiner Widerlegung der Anklage fort. Er erklärt, Frazier habe aus freien Stücken der Polizei seine Hilfe bei den Ermittlungen angeboten, ihm sei jedoch bald klar geworden, dass die Detectives sich unter Ausschluss aller anderen Möglichkeiten ganz allein auf ihn als Tatverdächtigen konzentriert hatten. Sicher, er lieferte nicht wie versprochen seine Waffe ab. Er hatte eben einfach Angst, dass man ihn wegen unerlaubten Waffenbesitzes belangen würde, und er ahnte bereits, dass die Detectives ihm den Mord anhängen wollten. Und das taten sie dann auch, obwohl er versucht hatte, ihnen bei der Suche nach Lenas Mörder zu helfen.
»Mr. Doan hat Ihnen von einem Puzzle erzählt – eine gute, eine richtige Geschichte«, sagt Polansky und kehrt damit wieder zum Allgemeinen zurück. »Natürlich können Sie ein Puzzlebild erkennen, auch wenn es nicht ganz vollständig ist, wenn Ihnen vielleicht drei, vier, fünf Teile fehlen. Aber wenn es einfach zu viele sind …«
Garvey versucht im Vorraum ebenfalls, bruchstückhafte Informationen zusammenzusetzen. Er hat sich ganz in das Kreuzworträtsel der Morgenausgabe der
Evening Sun
vertieft, das er mit viel Mühe bereits zur Hälfte gelöst hat. Dave Brown ist im Sitzen eingeschlafen, die Akte Booker auf dem Schoß.
Dann macht Justitia Mittagspause. Die Detectives verlassen das Gebäude, gehen essen, und kehren schließlich zu ihrer Bank zurück, wo sie während der Nachmittagssitzung eine Parade von Zeugen der Anklage in den Saal hinein- und wieder herausspazieren sehen: die ältere Tochter von Lena Lucas, die über das Verhältnis von Frazier zu ihrer Mutter Auskunft gibt und verneint, dass Vincent Booker Zugang zur Wohnung hatte; der Nachbar von oben aus der North Gilmor 17, der schildert, wie er die Leiche gefunden hat, was den Zeitpunkt des Todes eingrenzt; der erste Officer vom Western District vor Ort, der über die Absicherung des Tatorts und die Beweisaufnahme spricht; Wilson vom Labor, der die Fotos vom Tatort präsentiert und über die Versuche berichtet, Fingerabdrücke sicherzustellen; Purvis von der Spurensicherung, der aussagt, sämtliche gefundenen Fingerabdrücke stammten von Charlene Lucas selbst.
Als der Gerichtsdiener endlich Garvey aufruft, ist er gerade an einem französischen Fluss mit fünf Buchstaben hängen geblieben, hat das Kreuzworträtsel aber ansonsten fast gelöst. Er lässt die Zeitung auf der Bank liegen und tritt im dunkelblauen Nadelstreifenanzug in den Zeugenstand. Es ist der Anzug, den er zu offiziellen Anlässen trägt. Die konservative Krawatte, die Brille – meine Damen und Herren Geschworenen, vor Ihnen steht der stellvertretenden Leiter der Vertriebsabteilung der Polizei von Baltimore.
»Guten Tag«, begrüßt ihn Doan mit Bühnenstimme. »Wie lange sind Sie schon bei der Polizei von Baltimore?«
»Über dreizehn Jahre«, antwortet Garvey und rückt seine Krawatte zurecht.
»Und wie viele dieser dreizehn Jahre sind Sie schon im Morddezernat?«
»Die letzten dreieinhalb Jahre.«
»Wenn Sie den Damen und Herren Geschworenen vielleicht sagen könnten, wie viele Mordfälle Sie in dieser Zeit bearbeitet haben?«
»Mir persönlich waren Ermittlungen von etwas über fünfzig Tötungsdelikten übertragen worden.«
»Und«, lenkt Doan das Frage-Antwort-Spiel, »ich nehme an, Sie haben in der einen oder anderen Weise auch an weiteren Fällen mitgearbeitet.«
»An sehr vielen«, antwortet Garvey.
Doan beginnt, mit
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