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Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
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– war sie meiner Einschätzung nach bereits vierundzwanzig Stunden tot.«
    Polansky und Doan schauen beide auf. Vierundzwanzig Stunden, das würde bedeuten, dass der Tod am späten Nachmittag des vorangegangen Tages eingetreten war.
    »Sie war schon vierundzwanzig Stunden tot?«, fragt Polansky.
    »Ja, das ist korrekt«, antwortet Garvey.
    Doan sieht den Zeugen scharf an, damit der sich seine Antwort noch einmal überlegt.
    »Sie sind also zu dem Schluss gekommen, dass sie spätestens um fünf Uhr nachmittags des Einundzwanzigsten getötet wurde?«, fragt Polansky.
    Da erst merkt Garvey, dass er einen Schnitzer gemacht hat. »Ich nehme das zurück. Nein, tut mir leid. Ich bin durcheinandergekommen. Ich meinte mindestens zwölf Stunden.«
    »Dachte ich mir, dass Sie das gemeint haben«, erklärt Polansky. »Danke. Keine weiteren Fragen.«
    Als Doan dann seinerseits den Zeugen befragt, kommt er noch einmalauf die sichergestellten Haare zurück, aber das ermöglicht es Polansky nur, erneut in Zweifel zu ziehen, dass der Detective alle Spuren mit der erforderlichen Hartnäckigkeit verfolgt hat. »Wenn Sie diese Haare überprüft hätten, dann hätten Sie feststellen können, ob sie zu Mr. Frazier oder zu Ms. Lucas oder zu jemand anderem gehörten. Verhält es sich nicht so?«
    »Wenn wir die Haare verglichen hätten, dann hätten wir feststellen können, ob sie ähnlich waren«, wiederholt Garvey müde.
    »Was Sie aber nicht getan haben«, stellt Polansky fest.
    »Ich hielt es nicht für nötig«, antwortet Garvey.
    »Das ist bedauerlich, Sir. Danke schön!«
    Diesen letzten Kommentar empfindet Doan als Provokation. Er wendet sich in seinem Stuhl um und wirft Polansky einen Blick zu. »Jetzt machen Sie aber mal einen Punkt«, sagt er sarkastisch. Und zum Richter gewandt: »Ich habe keine weiteren Fragen.«
    »Sie können den Zeugenstand verlassen, Sir«, sagt Gordy.
    So endet der erste Prozesstag. Fünf Minuten später, auf dem Flur, steht Garvey plötzlich vor Polansky. Er ballt in gespieltem Ärger die Faust, als wollte er ihm eine verpassen. »Sie armseliger Winkeladvokat«, sagt er lächelnd.
    »Jetzt aber!« Polansky ist ein wenig verlegen. »Nehmen Sie’s nicht persönlich, Rich. Ich mache nur meinen Job.«
    »Als ob ich das nicht wüsste«, sagt Garvey und knufft den Verteidiger in die Schulter. »Ich wollte mich nicht beklagen.«
    Doan hingegen ist nicht so einfach zu besänftigen. Auf dem Weg zu seinem Büro belegt er seinen ehrenwerten Prozessgegner mit ausgesuchten Schimpfnamen.
    Die Haare, die Newports – nichts als Nebelkerzen, wie sie ein guter Verteidiger zu werfen versteht. Wenn er nicht über die Beweise der Anklage reden will, dann bastelt er sich eben seine eigenen. Zweifellos wird Robert Frazier in den Zeugenstand treten und behaupten, Vincent Booker rauche Newports.
    Garvey weiß, dass die Zigarettenschachtel zum Problem werden kann, und entschuldigt sich bei Doan. »Ich bin mir sicher, dass ich mich am Tatort darum gekümmert habe. Ich konnte mich nur nicht mehr genau daran erinnern.«
    »Ach, machen Sie sich keine Sorgen«, beschwichtigt ihn Doan. »Vielleicht können wir …«
    »Ich werde mich gleich bei Jackie oder Henrietta erkundigen«, sagt Garvey, der mit seinen Gedanken bereits vorausgeeilt ist. »Larry, ich bin mir sicher, dass es Lenas Zigaretten waren, ich weiß bloß nicht mehr, wer es mir gesagt hat.«
    »Gut«, sagt Doan. »Dieser Zirkus mit den Haaren ist mir völlig egal, aber mit der Zigarettensache hat er gepunktet. Das können wir nicht so stehen lassen.«
    Donnerstag, 20. Oktober
    Am zweiten Prozesstag macht sich Larry Doan sogleich daran, verlorenes Terrain zurückzugewinnen.
    »Euer Ehren«, sagt Doan gleich nach Eröffnung der Verhandlung, »ich beantrage, Henrietta Lucas zur Beantwortung von zwei Fragen erneut als Zeugin aufzurufen.«
    Polansky ahnt sofort, was nun kommen wird.
    »Miss Lucas«, fragt der Staatsanwalt, »wissen Sie, ob Ihre Mutter zum Zeitpunkt ihres Todes Zigaretten rauchte?«
    »Ja«, antwortet Lenas ältere Tochter.
    »Können Sie uns sagen, seit wann sie rauchte?«
    »Ungefähr seit Anfang des Jahres.«
    »Und«, fragt Doan weiter, »wissen Sie auch, welche Marke?«
    »Newports.«
    Polansky schüttelt an seinem Platz den Kopf. Aber so schnell gibt er nicht auf. Im Kreuzverhör versucht er herauszuarbeiten, dass Robert Frazier mehr Zeit mit seiner Geliebten verbrachte als ihre erwachsene Tochter und dass er deshalb besser beurteilen könne, ob Lena

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