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Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
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gelegentlich in Gelächter aus und furzten um die Wette.
    Dieses Verhalten schien fast noch gesittet, wenn man den Dreck sah, durch den sich die Detectives im Haus Nummer 702 nun ihren Weg bahnen müssen. Das einst stattliche viktorianische Haus ist vollkommen heruntergekommen, es gibt weder Strom noch fließendes Wasser. Stapel von Tellern, vergessene Kleiderhaufen, Windeln, Plastikeimer und Töpfe voller Urin finden sich in jeder Ecke. Der Gestank und der Dreck werden von Zimmer zu Zimmer unerträglicher. Die beiden Uniformierten und die Detectives treten in regelmäßigen Abständen auf eine Zigarette und ein wenig frische Winterluft vor die Tür. In jedem Zimmer steht ein Gefäß, in das die Bewohner in Ermangelung einer funktionierenden Toilette ihre Notdurft verrichten. Und in jedem Zimmer stapeln sich Papp- und Plastikteller mit Essensresten, eine archäologisch geschichtete Ablagerung der Mahlzeiten einer ganzen Woche. Kakerlaken und anderes Ungeziefer flüchten in alle Richtungen, wenn man etwas anhebt. Trotz der Wärme in den oberen Stockwerken will keiner der Detectives seinen Mantel oder sein Sakko ablegen, aus Angst, das Kleidungsstück könnte Bewohner bekommen.
    »Wenn sie hier getötet wurde«, sagt Edgerton, der durch Essensreste und feuchte, verschimmelte Lumpen watet, »dann möchte ich gar nicht wissen, wie ihre letzten Stunden waren.«
    Edgerton, Pellegrini und zuletzt Landsman stoßen später von der Whitelock Street hinzu. Sie beginnen die Durchsuchung in einem nach hinten hinausgehenden Schlafzimmer des ersten Stocks, in dem der ältere Mann haust, der seinerzeit im Verdacht stand, die Sechsjährige vergewaltigt zu haben. Brown, Ceruti und die anderen arbeiten sich zum zweiten Stock und den vorderen Zimmern durch. Hinter ihnen kommen die Leute von der Spurensicherung, die alle Zimmer und alle beschlagnahmten Gegenstände fotografieren, alle Stellen, auf die ein Detective weist, nach Fingerabdrücken absuchen und jeden Fleck, bei dem es sich auch nur im Entferntesten um Blut handeln könnte, einem Leukomalachittest unterziehen.
    Die Arbeit geht nur langsam voran, was teilweise an der unglaublichen Anhäufung von Müll und Dreck liegt. Allein die Durchsuchung der nach hinten gelegenen Zimmer – jene mit direktem Zugang zum Dach – beansprucht beinahe zwei Stunden. Die Detectives tragen jeden Gegenstand einzeln hinaus, bis die Zimmer fast leer sind, dann werdendie Möbel umgedreht. Außer nach blutigen Kleidern oder Bettwäsche und einem gezahnten Messer halten sie vor allem nach einem sternförmigen Goldohrring Ausschau – die sprichwörtliche Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Aus dem nach hinten gelegenen Zimmer mit dem gelösten Fliegengitter nehmen sie zwei Paar verfleckte Jeans und ein Sweatshirt mit, bei dem der Leukotest positiv ausfällt, außerdem ein Bettlaken mit verdächtigen Flecken. Diese Funde führen dazu, dass sie die Suche bis in die frühen Morgenstunden ausdehnen. Bei ihrer methodischen Suche an einem möglicherweise gesäuberten Tatort wenden sie sämtliche vergammelten Matratzen und rücken Kommoden mit klapprigen Schubladen von der Wand.
    Die Durchsuchungs- und Beschlagnahmeaktion, die kurz vor Mitternacht begonnen hat, setzt sich bis drei, dann vier, schließlich bis fünf Uhr fort. Am Ende können sich nur noch Pellegrini und Edgerton halbwegs auf den Beinen halten, und selbst die Jungs von der Spurensicherung verlieren an Elan. Zahllose Fingerabdrücke haben sie in der Hoffnung, dass einer zu dem Opfer passt, schon von Türrahmen und Wänden, Schränken und Geländern abgenommen, doch Edgerton und Pellegrini sind noch immer nicht zufrieden und zeigen immer wieder auf neue Stellen.
    Um halb sechs in der Frühe werden die männlichen Bewohner des Hauses mit Handschellen aneinandergefesselt und in einen Transporter des Central District verfrachtet. Auf dem Präsidium wird jeder in ein anderes Zimmer geführt, und dieselben Ermittler, die die ganze Nacht das Haus auf den Kopf gestellt haben, nehmen sie in die Mangel. Doch die Hoffnung, dass einer von ihnen die Nerven verliert und den Mord an dem Kind zugibt, erfüllt sich nicht. Und obwohl ihnen gar kein Verbrechen angelastet werden kann, behandeln die Detectives die Tatverdächtigen mit einer beinahe grenzenlosen Verachtung. Ihre unverkennbare Abneigung hat allerdings wenig mit dem Mord an Latonya Wallace zu tun. Es ist möglich, dass einer aus dem halben Dutzend, die sie zusammengetrieben haben, das Mädchen ermordet

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