Homicide
denn?«
»Rechtschreibung.«
»Rechtschreibung?«
»Ja.«
»Bist du gut in Rechtschreibung?«
»Geht so.«
Kaum sind sie wieder unten, taucht der Junge in die dumpfe Masse ein. Eddie Brown starrt durch den Türrahmen, als hätte er das Licht am anderen Ende des Tunnels gesehen.
»Eins sage ich euch«, murmelt er und zündet sich eine Zigarette an, »ich werde langsam zu alt für diesen Job.«
DREI
Mittwoch, 10. Februar
E s ist 111 Tage her, dass Gene Cassidy an der Ecke Appleton Street und Mosher Street niedergeschossen wurde, und seit 111 Tagen schleppt Terry McLarney nun das ganze Gewicht der Polizei von Baltimore mit sich herum. Noch nie ist in Baltimore ein Fall, in dem ein Polizist getötet oder verwundet wurde, ungelöst geblieben, immer wurde über den Täter ein Urteil gesprochen. Doch McLarney weiß so gut wie jeder andere Cop in Baltimore, dass der Tag kommen wird, an dem es anders ist. Schon seit einigen Jahren zeigen die Geschworenen eine fatale Neigung, Täter, die auf Polizisten geschossen haben, mit Totschlag anstelle von Mord davonkommen zu lassen. Der Kerl, der Buckman sechs Kugeln in den Kopf gejagt hatte, war schon wieder auf Bewährung frei. Auch dem Junkie, der Marty Ward umbrachte, ihm bei einer aus dem Ruder gelaufenen Drogenrazzia in die Brust geschossen hatte, wurde nur wegen Totschlags verurteilt. Und eines Tages, das spürt McLarney, wird das Undenkbare geschehen und jemand ganz ohne Strafe bleiben. Das einzige, was McLarney hofft, ist, dass es nicht in einem seiner Fälle passieren wird, und vor allem nicht im Fall Cassidy.
Doch die Tage verrinnen, ohne dass sich neue Spuren ergeben, ohne dass sich in diesem Fall irgendwas abzeichnet. Die Staatsanwaltschaft hält ihn immer noch für zu schwach, um ihn den Geschworenen zu übergeben. Die Akte Cassidy ist prallvoll, doch im Grunde hat McLarney gegen seinen Tatverdächtigen nicht mehr in der Hand als im Oktober. Nur dass er im Oktober noch sicher war, dass der Mann, der für die Schüsse auf Cassidy in der Zelle sitzt, das Verbrechen tatsächlich begangen hat.
Davon ist er mittlerweile nicht mehr so überzeugt. Nun, da der Fall langsam auf seinen Gerichtstermin im Mai zusteuert, ertappt sich McLarney gelegentlich bei einem stillen Stoßgebet. Es sind kurze, flehentliche und sehr klare Bitten an den Herrn, die er an Straßenecken oder im Kaffeeraum gen Himmel schickt, Gebete an einen katholischenGott, an den Terry McLarney sich nicht einmal gewandt hatte, als er selbst blutend in der Arunah Avenue lag. Trotzdem passiert es McLarney nun, dass er eins dieser Bittgebete für ein spezielles Anliegen vor sich hinmurmelt, wie sie pausenlos an Gott gerichtet werden. Lieber Gott, gib mir was in die Hand gegen den Mann, der auf Gene geschossen hat, und ich verspreche dir, dich nie mehr mit meinen Problemen zu behelligen. In tiefster Demut, Detective Sergeant T.P. McLarney, CID Homicide, Baltimore, Maryland.
Die nächtlichen Anrufe von Gene setzten ihn nur noch mehr unter Druck. Cassidy, der sich noch nicht an die ewige Finsternis gewöhnt hatte, wachte manchmal mitten in der Nacht auf und wusste nicht, ob es Morgen oder Nachmittag war. Dann rief er im Morddezernat an, um zu hören, was es Neues gab und was sie inzwischen gegen Owens in der Hand hatten. McLarney schenkte ihm stets reinen Wein ein, er sagte ihm, dass sie immer noch nicht mehr hatten als zwei wenig gesprächige minderjährige Zeugen.
»Was wünschst du dir, das herauskommt, Gene?«, fragte McLarney einmal bei einem solchen Gespräch.
»Der Kerl soll im Knast sitzen, solange ich blind bin.«
»Könntest du auch mit fünfzig Jahren leben?«
Ja, antwortete Cassidy. Wenn es sein muß.
Fünfzig Jahre waren zu wenig, das wussten sie beide. Fünfzig Jahre, das hieß Bewährung nach weniger als zwanzig. Doch im Augenblick war noch nicht einmal an die fünfzig Jahre, geschweige denn an eine Anklage zu denken. Wenn McLarneys Blick auf die Akte mit dem größten Fall seines Lebens fiel, dann fühlte er sich als Versager. Verdammt, wenn Cassidy nicht Polizist wäre, hätte man die Sache schon längst eingestellt, bevor sie überhaupt auch nur in die Nähe eines Gerichtssaals gekommen wäre.
Es durfte keine Einstellung des Verfahrens, keinen Freispruch, keinen faulen Deal geben. Die Angelegenheit musste unbedingt mit einer Verurteilung wegen versuchten Mordes enden. Das schuldete die Polizei Gene Cassidy. Und die Polizei, das ist in diesem Fall McLarney. Als Cassidys Freund, als
Weitere Kostenlose Bücher