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Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
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sich wieder hinlegen.«
    Das Gespenst schien einen Augenblick zu überlegen, bevor es sich abwandte.
    »Na schön«, sagte Cassidy.
    In den Wochen nach der Schießerei begannen McLarney und die anderen Detectives zusammen mit den Drogendezernaten des CID und des Western District die Drogenumschlagplätze rund um die Appleton Street zu beobachten. Sie gingen von einer schlichten Überlegung aus: Wenn Cassidy angeschossen worden war, weil er versucht hatte, einen Treffpunkt für Junkies und Dealer aufzumischen, dann musste jeder aus der dortigen Szene das mitbekommen haben. Es musste Zeugen geben und Leute, die Zeugen kannten. Mehr als ein Dutzend Dealer hatte man sich schon herausgegriffen, und nachdem man ihnen versprochen hatte, für sie ein gutes Wort bei den Strafverfolgungsbehörden wegen ihrer Drogengeschichten einzulegen, wenn sie Informationen lieferten, hatten die Detectives sie hart ins Gebet genommen.
    Der Abend, an dem die Schüsse fielen, war kühl, aber nicht besonders kalt gewesen, man konnte also davon ausgehen, dass einige Anwohner bis in die späten Stunden auf den Treppen vor dem Haus gesessen hatten. Doch auch eine zweite Aktion in der Mosher und Appleton brachte ihnen kaum neue Erkenntnisse. Und die aufwendige Suche nach dem schwarzen Ford Escort, dem mutmaßlichen Fluchtfahrzeug, blieb ohne Ergebnis.
    Ende Januar wurde der Fall an die Abteilung Berufsverbrecher der Staatsanwaltschaft abgegeben, wo sich zwei erfahrene Strafverfolger, Howard Gersh und Gary Schenker, mit den Anklageschriften und Zeugenaussagen befassten. Owens und Frazier waren zwar immer noch ohne die Möglichkeit einer Entlassung auf Kaution in Haft, aber vom Gesichtspunkt der Strafverfolgung aus war der Fall eine Katastrophe. Die einzigen Belastungszeugen waren ein wenig kooperativer Sechzehnjähriger und seine dreizehnjährige Schwester, eine Ausreißerin, mit anderen Worten jemand, der nicht nur unzuverlässig, sondern auch schwer aufzufinden war. Außerdem widersprachen sich die Aussagen der beiden Jugendlichen in wichtigen Punkten, und nur das Mädchen belastete Frazier als Komplizen. Es gab keine Waffe, keine handfesten Beweise, kein Motiv, die einen Geschworenen beeindrucken konnten, wenn der Verteidiger auf Freispruch mangels Beweisen plädierte.
    McLarney bekam es wirklich mit der Angst zu tun. Was, wenn der Prozess begann und sie nichts auf den Tisch legen konnten? Was, wenn sie keine weiteren Zeugen auftrieben? Was, wenn die Anklage vom Gericht als unbegründet abgeschmettert würde? Was, wenn der Schütze das Gericht als freier Mann verließ? Einmal, als die Zweifel besonders groß waren, rief McLarney Cassidy an und fragte ihn im Auftrag der Ankläger, ob es ihm genügen würde, wenn man sich mit den Beschuldigten vorab auf ein Strafmaß von dreißig Jahren wegen versuchten Totschlags einigte. Was im Klartext Bewährung nach zehn Jahren hieß.
    Nein, sagte Cassidy. Dreißig, nein.
    Gut, dachte McLarney. Allein schon der Gedanke an einen solchen Kuhhandel war pervers. Cassidy hatte sein Augenlicht und seine Karriere eingebüßt. Und obwohl man ihr angeboten hatte, ihr den Arbeitsplatz warm zu halten, hatte Patti Cassidy ihre Stelle als Buchhalterin aufgegeben, um Gene während der monatelangen Therapie zu unterstützen. Zwei Leben waren aus der Bahn geworfen worden – eigentlich drei, korrigierte sich McLarney in Gedanken.
    Kurz vor Weihnachten fand man die medizinische Erklärung für Patti Cassidys anhaltendes Unwohlsein. Dass ihr so oft schlecht war und sie sich müde fühlte war keine Folge der Belastungen nach den Schüssen auf ihren Mann. Sie war schwanger. Das Kind, nur wenige Tage vor Genes Verwundung gezeugt, war ein Geschenk des Himmels, ein lebendiges, atmendes Versprechen von Zukunft. Es erübrigt sich zu sagen, dass auch dieses Glück von einem Wermutstropfen getrübt war: Gene Cassidy würde sein Kind niemals sehen.
    Pattis Schwangerschaft führte dazu, dass sich McLarney noch mehr hinter den Fall klemmte. Einige Detectives glaubten jedoch, dass McLarneys Hartnäckigkeit auch auf ein anderes Ereignis zurückzuführen war, das nichts mit Cassidy und dem Baby zu tun hatte. Sie vermuteten einen Zusammenhang mit dem Vorfall hinter den Häusern der Monroe Street, kaum mehr als zwei Blocks von der Stelle entfernt, an der Cassidy niedergeschossen wurde.
    McLarney fand die Art der Ermittlungen im Todesfall John Randolph Scott mittlerweile eine Schweinerei. Allein der Gedanke, gegen Kollegen zu ermitteln, war

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