Homo ambrosius (Die Chimären) (German Edition)
beeilen, sonst kommt alles mit ins Grab.“ Ohne dass Tobias es merkte, lief ihm beim Reden Speichel aus dem Mundwinkel zum Kinn. James, der diskret im Hintergrund stand, näherte sich und wischte den Speichel weg – so selbstverständlich, als putze er sich gerade die eigene Nase.
„Wie ihr seht, muss mir niemand mehr den Arsch retten. Meine Telomere sind bereits aufgebraucht, der Countdown läuft.“ Tobias lachte in sich hinein. Mary schüttelte den Kopf und warf Brian einen vielsagenden Blick zu.
Das Roastbeef war das beste, das Brian seit langer Zeit gegessen hatte. Der Rioja, den Tobias reichen ließ, war ebenfalls vorzüglich. Er hatte sich sein Gefängnis, wie er es nannte, sehr komfortabel eingerichtet. Was die Wasser- und Stromversorgung betraf, war er autonom. Neben einer Quelle auf seinem Grundstück verfügte er über ein kleines Kombiblockkraftwerk der neuesten Generation, das sich unter dem Anbau befand.
Er erzählte ausführlich, wie er sich in den letzten Monaten und Wochen vorbereitet hatte. Überhaupt redete er sehr viel, viel mehr, als es Brian von ihm gewohnt war.
Als Tobias schließlich Pause machte, um einen Schluck zu trinken, und James ihm das Glas reichte, ergriff Brian die Gelegenheit beim Schopf. „Also, Tobias, was ist los, was hast du gemacht? Erklär es mir aber bitte so, dass es auch ein Normalsterblicher versteht.“ Mary zwinkerte ihm zu, er hatte scheinbar den richtigen Zeitpunkt erwischt.
„Gut, Brian. James, bringst du mir bitte die Bohnen.“ Tobias lächelte, er hatte wohl etwas vorbereitet und freute sich auf seine kleine Vorstellung. James stellte eine Schale mit weißen und eine mit schwarzen Bohnen auf den Tisch.
„Fangen wir an“, sagte Tobias, „Brian, was ist die kleinste Informationseinheit?“
„Ein Bit.“
„Ja, genau, lass uns simpel bleiben. Ein Bit, die Abkürzung für binary digit , die englische Bezeichnung für Binärziffer. Damit wissen wir auch gleich, dass ein Bit nur zwei Ausprägungen kennt, allgemein reden wir von 0 und 1.“ Er legte eine weiße Bohne auf den Tisch, dann eine schwarze daneben.
„Die weiße nehme ich für die 0, die schwarze Bohne für die 1. Die nächste Informationseinheit ist ein Oktett, besser bekannt als Byte. Eine Folge von acht Bit.“ Er legte acht weiße Bohnen nebeneinander. „Die Information, die ein Byte repräsentiert, ist abhängig vom binären Code. Verstanden?“
„Ja“, kam es gelangweilt von Brian. Mary griff sich eine Bohne. „Entschuldige, Brian, ich hab’s nicht verstanden.“
„Okay, Frau Taydon. Nehmen wir die acht weißen Bohnen hier. Wir sagen, dass diese Kombination für den Buchstaben A steht.“ Er legte acht weitere Bohnen auf den Tisch. „Noch mal A.“ Mary nickte. „Gut, und jetzt tausche ich die erste weiße Bohne gegen eine schwarze aus. Sie sehen, das ist eine neue Kombination. Nennen wir sie B.“
Er legte eine dritte Reihe mit acht weißen Bohnen. „Die Kombination für A“, er tauschte die erste weiße Bohne gegen eine schwarze aus. „Die Kombination für B. Und jetzt tausche ich auch noch die zweite weiße Bohne gegen eine schwarze Bohne aus, und wir haben eine neue Kombination.“
„C“, sagte Mary.
„Gut, Sie haben es verstanden. Das ist das Grundprinzip für einen binären Code. Hier jetzt weiß, schwarz. In der Informatik 0 und 1. Welche Bedeutung der Code, also jede individuelle Kombination hat, ist reine Definitionssache. Jede Datei, egal ob Bild, Text oder Sourcecode, ist auf dem Computer in Form dieses binären Systems gespeichert.“
„Die Dateigröße wird in Kilo- oder Megabytes angegeben“, warf Mary ein.
„Richtig, ein Kilobyte sind 1.000 Bytes. Korrekterweise eigentlich 1.024 Bytes, aber lassen wir die Feinheiten. Dies entspricht einem Text mit 1.024 Zeichen. Aber auch die Speicherkapazität zum Beispiel einer Festplatte wird in Bytes angegeben.“
„Okay, Tobias, danke für den Exkurs in allgemeine Informatik für Anfänger . Komm zur Sache“, unterbrach ihn Brian ungeduldig.
„Für dich die schnelle Version, Brian: Computerkrebs.“
„Computerkrebs? Was soll das denn sein?“, sagte Brian, und sein Gesicht war eine einzige große Frage.
„Was ist das Typische an Krebs?“
„Unkontrolliertes Zellwachstum“, sagte Mary.
„Ja, und Computerkrebs ist unkontrolliertes Bytewachstum. Stell dir vor, was passiert. Du hast ein Byte, das bekommt nun Krebs. Aus einem Byte werden plötzlich zwei. Aus zwei werden vier, aus vier dann acht
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