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Homo ambrosius (Die Chimären) (German Edition)

Homo ambrosius (Die Chimären) (German Edition)

Titel: Homo ambrosius (Die Chimären) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Karer
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vor Augen sucht man nach Antworten. Was war der Sinn des eigenen Lebens? War man ein guter Mensch? Und so weiter.“

„Oh, das habe ich völlig vergessen“, seufzte Mary. Brian schaute sie an.
    „Was hast du vergessen? Das Gespräch?“
    „Das Gespräch nicht, aber den Inhalt. Wirklich ärgerlich. Ich habe mir damals nicht mehr viel Arbeit mit dem psychologischen Gutachten gemacht. Die Pensionierung kam rasend schnell näher und …“
    „… da hast du einfach das letzte Gutachten mehr oder weniger kopiert?“ Sie nickte bestätigend. „Und was hast du nun vergessen?“
    „Das Brett des Karneades! Er sagte: Solange ich nicht mit dem Brett des Karneades konfrontiert werde, bin ich für niemanden ein Risiko. Wie konnte ich das nur vergessen.“
    „Mary, du sprichst in Rätseln.“
    „Das Brett des Karneades ist ein philosophisches Gedankenexperiment, es soll von dem griechischen Philosophen Karneades von Kyrene stammen. Es geht darum, ob eine Tat strafbar ist, wenn sie in einer Notstandssituation ausgeführt wird. Und falls ja, in welchem Maße.
    Stell dir zwei Schiffbrüchige vor und ein Brett. Dieses Brett wäre die Rettung, es bietet aber nur Platz für einen von beiden. So tötet einer den anderen, um auf das Brett zu können und zu überleben.“
    „Also die Wahl zwischen Sterben und Töten. Wie entscheiden die Gerichte?“
    „Unterschiedlich, es kommt auf die Art des Notstandes und auf die Rahmenbedingungen an. Es ist eine Frage der ethischen Maßstäbe, die angewendet werden. Im konkreten Beispiel würde ein Gericht die Tat des Täters sicher als rechtswidrig bezeichnen, ihm aber einen entschuldigenden Notstand zugestehen. Damit würde keine Schuld im Rechtsinne bestehen, der Täter also im juristischen Sinne straffrei bleiben. Es gibt hierzu eine Reihe entsprechender Grundsatzurteile.“
    „Ich nehme an, das Leben mit einer solchen Schuld wäre schon Strafe genug.“
    „Das sagen auch verschiedene Philosophen, die sich damit auseinandergesetzt haben.“
    „Du meinst also, Tobias macht einen solchen Notstand geltend?“
    „Nein, ich glaube nicht, dass er einen Notstand im strafrechtlichen Sinne geltend macht. Also dass er sich schützen beziehungsweise retten will. Ich vermute eher, dass er irgendein Vorkommnis als so gravierend eingeschätzt hat, dass er es als Notstand identifizierte und sich genötigt sah, massiv einzugreifen.“
    „Glaubst du nicht, dass du hier zu viel hineininterpretierst, Mary?“
    „Brian, du hast gesagt, dass Tobias die Rückblende steuert. Scheinbar war es ihm wichtig, dass wir dieses Gespräch hören, und das Einzige, was wirklich Substanz hat, ist diese eine Aussage, dass er kein Risiko, keine Gefahr ist, solange er nicht mit einem Notstand konfrontiert wird.“
    „Da mag was dran sein. Dann sollten wir herausfinden, welcher Notstand das war.“
    „Ich glaube, die Antwort erhalten wir demnächst, schauen wir weiter.“
    Millisekunden später veränderte sich die Umgebung. „Oh, ein Shoppingcenter“, entfuhr es Mary.

Am Freitag, den 14. Juli 2033, betrat Jeremy Longpath am frühen Nachmittag das Bullring-Shoppingcenter in Birmingham. Die ganze Woche über litt er schon unter Kopfschmerzen und konnte sich nicht konzentrieren. Auch intensiver Sport, der sonst immer half, bewirkte diesmal gar nichts. Im Gegenteil, er schien alles nur noch schlimmer zu machen.
    Jeremy spielte am liebsten Rugby, je mehr körperlicher Einsatz, umso besser. Schon als kleiner Junge hatte er begriffen, dass er seine ständig vorhandenen Aggressionen am besten auf dem Rugbyplatz herauslassen konnte. Dort wurde er dafür nicht bestraft, im Gegenteil, der Trainer und die Zuschauer lobten ihn und die Gegner respektierten ihn.
    Er träumte von einer Profikarriere. Dafür war er aber nicht schlau genug, als Profi musste man auch strategische Spielzüge auf hohem Niveau umsetzen, das bekam er nicht hin. Sein IQ war weit unterdurchschnittlich, seine Lese- und Schreibschwäche an der Grenze zum Analphabetismus. Er war fast achtzehn, doch sein Zahlenverständnis reichte lediglich bis in den 1000er-Bereich. Alles darüber war sehr viel .
    Das störte ihn alles nicht. Solange er genug zu essen bekam, Sport treiben und Rugby spielen konnte und man ihn ansonsten in Ruhe ließ, war er zufrieden. Schwere körperliche Arbeit war auch gut. Er war mit 1,71 Meter zwar nicht besonders groß, aber er war dermaßen mit Muskeln bepackt, dass er überall, wo er hinkam, auffiel.
    Auch jetzt im Bullring-Center

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