Homo ambrosius (Die Chimären) (German Edition)
bemerkte er die abschätzenden Blicke der Jungen und Männer, die zwischen Bewunderung, Respekt und Abscheu schwankten. Den Blicken der Frauen wich er aus, Frauen schreckten ihn ab, er konnte sie nicht ertragen, sie stanken .
Auf der Rolltreppe vom ersten in den zweiten Stock zog plötzlich ein stechender Schmerz durch seinen Kopf. Er stöhnte unwillkürlich und hob die rechte Hand vor die Augen, da ihn das Licht jäh blendete. Seine Sinne schienen tausendfach verstärkt. Die Geräusche um ihn herum waren ohrenbetäubend. Er drückte sich die Hände auf die Ohren. Es stank, es stank auf einmal extrem nach Menschen und vor allem nach Frau.
Adrenalin pumpte in großen Mengen in seine Blutbahn, sein Aggressionszentrum übernahm die Herrschaft, er wurde zum Tier, zum blutrünstigen Tier.
Die letzten Stufen der Rolltreppe nahm er mit einem gewaltigen Sprung. Er schnappte eine junge Frau, die gerade die Rolltreppe nach unten betreten wollte, und biss ihr die Kehle durch. Der Geruch des Blutes versetzte ihn in einen Blutrausch, er wollte nur noch töten.
Im zweiten Stock des Centers tötete er acht Frauen zwischen einundzwanzig und vierundfünfzig Jahren. Er erschlug seine Opfer mit einem gusseisernen Kerzenständer von einem Verkaufsstand unmittelbar neben der Rolltreppe. Nach wenigen Minuten kam die Polizei.
Jeremy hielt den blutigen Kerzenständer zum Schlag bereit vor sich, er verfolgte eine zehnte Frau, als ihn ein Schuss traf. Die Polizisten schossen ihre Magazine leer, mit elf Kugeln im Körper brach Jeremy tot zusammen. Der Amoklauf dauerte exakt elf Minuten und vierundvierzig Sekunden, wie eine spätere Videoanalyse zeigte.
To Zhang ging zielstrebig auf den Tisch zu, der in der Mitte des Saales stand. Dies war ein Festessen des deutschen Bundeskanzlers zu Ehren von Dérúgo Feng. Feng befand sich auf einem offiziellen Staatsbesuch in Deutschland und wurde nach allen Regeln der diplomatischen Kunst umworben und umschmeichelt. Im Saal waren etwa dreihundert geladene Gäste, die Elite aus Politik und Wirtschaft.
Dérúgo Feng genoss den Aufwand um seine Person, seit er in Berlin das Flugzeug verlassen hatte. Es hatte sich herumgesprochen, dass er in zwei Monaten auf dem Parteikongress der Kommunistischen Partei zum mächtigsten Mann Chinas gewählt werden sollte.
Aus dem ehemals smarten, skrupellosen Geschäftsmann war ein gefürchteter und gnadenloser Machtpolitiker geworden. Er war der politische Vater des sogenannten Pazifischen Bundes, eines Staatenbundes unter der Führung Chinas, dem Staaten wie Korea, Vietnam, Kambodscha, Myanmar, Malaysia und seit Kurzem auch Japan angehörten. Dérúgo Feng hatte es geschafft, die Amerikaner aus Asien und selbst aus Japan zu verdrängen.
In Europa fiel die chinesische Vorherrschaft weniger auf. Hier war es eine versteckte, auf finanzielle Verflechtungen und Verpflichtungen basierende Dominanz. Es gab keinen europäischen Staatshaushalt mehr, der nicht zuvor in Peking abgesegnet wurde. Der Anteil der chinesischstämmigen Bevölkerung war in Europa auf über siebzig Millionen angewachsen, davon lebten alleine in Deutschland etwa zwanzig Millionen. Die chinesischen Umsiedler hatten auch das jeweilige nationale Wahlrecht erhalten und konnten nun in den Kommunen politisch Fuß fassen.
China hatte die Dominanz der USA durchbrochen und die USA schließlich als Weltmacht Nummer eins abgelöst. Und der mächtigste Mann der Welt würde bald Dérúgo Feng sein.
Feng ließ jeden seine Macht spüren. Er war herrisch, launisch und in seinem Verhalten unberechenbar. Er konnte immer noch charmant und umwerbend sein, aber genauso plötzlich aggressiv und unbeherrscht. Seine Vertrauten und Untergebenen fürchteten seine Wutausbrüche.
Seine Befürworter hielten ihn für eine herausragende politische Persönlichkeit, die sich für Frieden und Wohlstand in der ganzen Welt einsetzte. Seine Kritiker hingegen sahen ihn als größenwahnsinnigen Machtpolitiker, der über kurz oder lang die Welt ins Verderben stürzen würde.
Als sich To Zhang seinem Tisch näherte, unterhielt Feng sich gerade mit dem deutschen Bundeskanzler. Dass er fließend Deutsch sprach, erleichterte nicht nur die Kommunikation, sondern hatte in der Vergangenheit auch dabei geholfen, die Deutschen immer stärker an China zu binden.
Der jetzige Bundeskanzler verdankte seine Wahl der Familie Feng, sie hatte seinen Wahlkampf finanziert. Er hatte sich revanchiert: Zwei Jahre nach seinem Amtsantritt trieb er maßgeblich
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