Honeymoon
nicht, Nora. O'Hara ist mit Sicherheit der misstrauischste Mensch, den ich kenne. In seinen Augen ist die ganze Welt eine einzige Verschwörung. Manchmal spinnt er wirklich, dieser O'Hara.«
»Na toll.« Nora lehnte sich auf ihrer Sitzbank zurück und ließ die Schultern hängen. Sie klimperte verwirrt mit den Wimpern und sah mich mit ihren hübschen grünen Augen an. Fast tat sie mir schon Leid. »Das FBI? Was hat das zu bedeuten?«
»Etwas, was eigentlich niemandem zugemutet werden sollte, der gerade einen geliebten Menschen verloren hat«, antwortete ich. Es folgte eine nette kleine Kunstpause. »Ich fürchte, die Leiche Ihres Verlobten soll exhumiert werden.«
»Was?«
»Ich weiß, es ist furchtbar, und wenn ich irgendetwas tun könnte, um es zu verhindern, würde ich es tun. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund weigert sich dieser Idiot von O'Hara, die Tatsache zu akzeptieren, dass ein vierzigjähriger Mann sehr wohl einen Herzinfarkt erleiden kann. Er will noch weitere Tests machen lassen.«
»Aber es wurde doch eine Autopsie durchgeführt.«
»Ich weiß ... ich weiß.«
»Zweifelt dieser O'Hara etwa das Ergebnis an?«
»Das ist es nicht, Nora. Was er will, sind gründlichere Untersuchungen. Eine gewöhnliche Autopsie ist ... nun ja, eben gewöhnlich; bestimmte Dinge werden dabei nicht unbedingt erkannt.«
»Was meinen Sie damit? Was für Dinge?«
Noras Frage hing in der Luft, als die Bedienung zurückkam. Während sie uns den Kaffee und mir meinen Apfelkuchen servierte, beobachtete ich Nora, die immer nervöser wurde. Ich hatte den Eindruck, dass ihre Gefühle echt waren. Nur bei ihren Motiven war ich mir nicht ganz sicher. War sie die trauernde Verlobte – oder die Mörderin, die sich plötzlich mit dem Risiko konfrontiert sah, dass ihre Tat ans Licht kam?
Die Bedienung ging wieder.
»Was für Dinge?«, wiederholte ich ihre Frage. »Alle möglichen Dinge, nehme ich an. Wenn Connor zum Beispiel – das ist jetzt eine reine Hypothese – wenn er zum Beispiel Drogen genommen hätte oder wenn etwa irgendeine schon vorher bekannte gesundheitliche Beeinträchtigung vorgelegen hätte, die auf dem Versicherungsantrag nicht erwähnt wurde, dann könnte das eventuell die Police ungültig machen«
»Keins von beiden war der Fall.«
»
Sie
wissen das, und – ganz inoffiziell und im Vertrauen gesagt – ich weiß es auch. Nur John O'Hara weiß es leider nicht.«
Nora zog den Deckel eines dieser gut fingerhutgroßen Plastikdöschen mit Kaffeesahne ab und kippte den Inhalt in ihren Kaffee. Dann gab sie zwei Stück Zucker dazu.
»Wissen Sie was?«, sagte sie. »Sagen Sie O'Hara, dass er das Geld behalten kann. Ich will es nicht.«
»Ich wünschte, es wäre so einfach, Nora. Die Centennial One ist jedoch gesetzlich verpflichtet, die Versicherungssumme auszuzahlen, sofern keine Unstimmigkeiten vorliegen. So sonderbar es sich anhören mag: Sie haben in diesem Fall gar keine Wahl.«
Sie stützte die Ellenbogen auf den Tisch. Dann ließ sie den Kopf in die Hände sinken. Als sie ihn wieder hob, sah ich eine Träne über ihre Wange kullern. »Sie werden also buchstäblich Connors Sarg ausgraben? Das wollen Sie wirklich tun?«
»Es tut mir wirklich ausgesprochen Leid«, sagte ich und kam mir dabei tatsächlich ziemlich mies vor. Wenn sie nun unschuldig war? »Jetzt verstehen Sie sicher, warum ich dieses Gespräch nicht am Telefon führen wollte. Das Einzige, was ich Ihnen sagen kann, ist, dass
ich
an O'Haras Stelle so etwas nie und nimmer tun würde.«
Während ich diese Worte sprach und ihr dabei zusah, wie sie sich die Augen mit ihrer Serviette trocknete, musste ich unwillkürlich an meinen Vater und seine Worte denken.
Es ist nicht immer alles so, wie es scheint.
Ich konnte immer noch nicht sagen, ob Noras Tränen echt oder falsch waren, aber eines wusste ich: Sie empfand tiefe Verachtung für John O'Hara. Und je mehr sie ihn hasste, desto leichter konnte ich ihr Vertrauen gewinnen.
Ziemlich ironisch, das musste ich schon zugeben.
Denn John O'Hara saß nicht etwa im Hauptbüro der Centennial-One-Lebensversicherung in Chicago.
John O'Hara saß in diesem Moment in einer Nische im Blue Ribbon Diner, aß ein Stück Apfelkuchen und hörte auf den Namen Craig Reynolds.
Ich war auch nicht direkt in der Versicherungsbranche tätig.
Dritter Teil
Brandgefährliche Spiele
52
»Was soll das heißen – du hast ihr gesagt, dass wir Connors Leiche exhumieren?«, blaffte Susan mir ins Ohr. Sie war
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