Honeymoon
anrufen, und sie würde ihm sagen, wie sehr sie ihn vermisste, was ihr nicht schwer fallen würde. Sie würden Witze über Fernorgasmen reißen.
Der Gedanke entlockte Nora ein Lächeln. Was geht da bloß mit mir vor, fragte sie sich.
Sie folgte ihm im Abstand von etwa hundert Metern. Craig fuhr nach Südwesten – dort lag der Flughafen von Westchester. Nora kannte die Strecke gut. Allmählich begann sie sich Vorwürfe zu machen. Lieber Gespenster sehen als hinterher in die Röhre gucken, das war ihr Lieblingsmantra; aber diesmal hatte sie das Gefühl, ein wenig übers Ziel hinausgeschossen zu sein.
Sie hatte schon einmal solche Zweifel an Craig gehabt, doch wie beim ersten Mal konnte ihre Beschattungsaktion sie nicht erhärten.
Jedenfalls nicht bis zu dem Moment, als er den Blinker setzte.
84
Viele Wege führten zum Westchester Airport, aber dies war leider keiner davon. Nicht einmal, wenn man einen kleinen Umweg einkalkulierte. Als Craig den Blinker setzte und abbog, wusste Nora sofort, dass sein Ziel ein anderes sein musste.
Sie wollte keine voreiligen Schlüsse ziehen. Es gab so etwas wie »gut gemeinte« Lügen, an dieser Hoffnung klammerte sie sich fest. Vielleicht wollte er sie ja mit irgendetwas überraschen.
Einige Kilometer weiter, als sie das Schild
Greenwich, Connecticut
erblickte, dachte sie an ihren Lieblingsjuwelier dort, Betteridge. Sie versuchte sich auszumalen, wie Craig ihr eine kleine, mit einer Schleife verzierte Schachtel überreichte und ihr beichtete, er habe den Termin in Chicago nur vorgeschoben, um sie mit einem Geschenk überraschen zu können. Eine kleine, harmlose Lüge.
Aber er raste ohne abzubremsen an der Ausfahrt Greenwich vorbei und fuhr damit das zarte Pflänzchen von Noras Hoffnung in Grund und Boden.
Sie war noch immer nicht bereit, voreilige Schlüsse zu ziehen, doch sie stand denkbar kurz vor einem Wutausbruch. Wut, Verärgerung, Kränkung ... ein Wirrwarr von Gefühlen, von denen keines allzu positiv war.
Jetzt überquerte Craig die Stadtgrenze von Riverside, Connecticut. So, wie er fuhr, war es offensichtlich, dass er sich in der Gegend auskannte. Wie kam das? Schließlich bog er in eine Sackgasse ein.
Nora bremste vor der Abzweigung ab und ließ den Wagen langsam ausrollen. Sie spähte um die Ecke. Die Häuser waren nicht besonders groß oder beeindruckend, aber gepflegt. Kein Vergleich mit seiner Wohnung in Westchester.
Was hatte Craig hier draußen in Connecticut verloren? Warum der Koffer? Wieso hatte er sie angelogen?
Ungefähr in der Mitte des Blocks bog der BMW in eine Auffahrt mit einem roten Briefkasten ein. Nora beobachtete ihn gebannt, als er aus dem Wagen stieg. Sie musste sich anstrengen, um auf die Entfernung etwas erkennen zu können.
Er streckte sich und ging dann die Stufen zur Haustür hoch. Es war ein weißes Einfamilienhaus mit dunkelgrünen Fensterläden.
Noch ehe er anklopfen konnte, ging die Tür auf, und zwei kleine Jungen kamen herausgestürzt.
Sie fielen ihm um den Hals und herzten und küssten ihn auf eine Art und Weise, die Möglichkeiten wie »Onkel«, »Cousin« oder »großer Bruder beim Militär« augenblicklich ausscheiden ließ. Nein – Craig Reynolds war eindeutig ihr Vater.
Heißt das, er ist ... verheiratet?
Noras Blick heftete sich wieder auf den Hauseingang, wo jetzt eine weitere Gestalt auftauchte. Ihr Herz klopfte wie verrückt, und ihr war plötzlich speiübel. Aber ebenso schnell, wie ihr Blick die Frau in der Haustür erfasst hatte, erkannte sie auch, dass es sich nicht um Mrs Craig Reynolds handeln konnte. Es sei denn, er hätte ein geheimes Faible für ausländisch aussehende Seniorinnen gehabt. Das Kindermädchen stand dieser Frau geradezu ins Gesicht geschrieben.
Dann sah Nora noch etwas. Aus einem Fenster im Obergeschoss beugte sich eine andere Frau. Sie war recht attraktiv auf eine gewisse Vorstadt-Hausfrauen-Art, und sie winkte Craig zu. Dieser Frau stand etwas ganz anderes ins Gesicht geschrieben.
Ehefrau.
Nora schlug mit dem Kopf gegen die Rückenlehne des Jaguars und fluchte wie ein Bierkutscher. Sie ließ kaum einen Kraftausdruck aus. »Craig, du beschissener Lügner, du Betrüger, du Dreckschwein ...!«
Sie sah zu, wie er mit den beiden Jungs ins Haus ging. Sie konnte den Blick nicht abwenden. Verzweifelt mühte sie sich, das Gesehene zu verarbeiten. Etwas verstand sie immer noch nicht: Wieso hatte er eine Wohnung in Westchester, wenn er doch offenbar hier draußen wohnte?
Sie grübelte immer noch
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