Hongkong 02 - Noble House Hongkong
wünschte es so. Zur Sicherheit – um ihn zu schützen, dachte sie. Als ob wir uns an den Söhnen für die Sünden der Väter rächen würden. Zwei Jahre wartete sie in Jarkutsk. Mittlerweile war wieder Frieden, und so sehr sie auch hoffte, daß Sie lebten, nahm sie an, daß Sie tot seien. Der Junge wurde in diesem Glauben aufgezogen. Wie Sie sehen, hat er Ihnen beiden Ehre eingebracht. In der Schule war er Klassenbester. Dann ging er auf die Universität, wie das heute alle begabten Kinder tun. Können Sie sich das vorstellen, Alexei Iwanowitsch? Ich war seinerzeit der erste Bauernsohn im ganzen Distrikt, der auf die Universität ging. Im heutigen Rußland sind wir gerecht.«
»Über wie viele Leichen mußten Sie steigen, um das zu werden, was Sie jetzt sind?«
»Über einige«, antwortete Suslew. »Es waren Verbrecher oder Feinde Rußlands.«
»Haben Sie im letzten Krieg gekämpft – oder waren Sie Kommissar?«
»Sechzehntes Panzercorps, fünfundvierzigste Armee. Ich war in Sewastopol dabei … und in Berlin. Wollen Sie Ihre Frau wiedersehen?«
»Mehr als alles in der Welt, wenn sie wirklich meine Frau ist und wenn sie lebt.«
»Sie ist Ihre Frau, und sie lebt. Ich kann es arrangieren.«
»Wo?«
»In Wladiwostok.«
»Natürlich.« Travkin lachte bitter. »Natürlich, Freund! Noch einen?« Er füllte den letzten Rest Wodka in die Gläser. »Zum Wohl!«
Suslew sah ihn groß an. Dann senkte er den Blick auf das Porträt und das Bild des Luftwaffenmajors und seiner Familie. In Gedanken verloren nahm er sie vom Tisch.
Er kratzte sich den Bart. »Also gut«, sagte er, »hier in Hongkong.«
»Was muß ich dafür tun?«
Suslew drückte seine Zigarette aus. »Information. Und Zusammenarbeit. Ich möchte alles erfahren, was Sie über den Tai-Pan von Noble House wissen, alles, was Sie in China gemacht haben, wen Sie kennen.«
»Und die Zusammenarbeit?«
»Davon später.«
»Als Gegenleistung bringen Sie meine Frau nach Hongkong?«
»Ja.«
»Wann?«
»Zu Weihnachten.«
»Wie kann ich Ihnen vertrauen?«
»Das können Sie nicht. Aber wenn Sie mit mir zusammenarbeiten, wird sie zu Weihnachten da sein.« Travkin beobachtete Suslew, der mit den beiden Fotografien spielte. Dann blickte er dem Mann in die Augen, und sein Magen krampfte sich zusammen. »So oder so, Sie müssen aufrichtig mit mir sein, Fürst Kurgan. Mit oder ohne Ihre Frau. Wir haben immerhin Ihren Sohn und Ihre Enkelkinder als Geiseln.«
Travkin nippte an seinem Glas. »Jetzt glaube ich, daß Sie sind, für was Sie sich ausgeben. Wo wollen Sie anfangen?«
»Mit dem Tai-Pan. Aber zuerst möchte ich mal austreten.« Suslew stand auf, fragte den Kellner nach der Toilette und verschwand durch die Küche.
Alleingelassen, geriet Travkin in Verzweiflung. Tränen verschleierten seine Augen.
Er wischte sie weg. Mit seiner ganzen inneren Kraft beschloß er, klug zu sein und nichts zu glauben, aber in seinem Herzen wußte er, daß es wirklich ihr Bild war, das er gesehen hatte und daß er alles riskieren werde, um sie wiederzusehen.
Bei Christi Blut, mein Liebstes, ich weiß, daß du tot bist. Ich weiß es. Das hat jemand erzählt, der zusah, wie der Mob unseren Palast plünderte und wie sie über dich herfielen.
Und du lebst wirklich?
Haßerfüllt richtete Travkin den Blick auf die Küchentür. Er wußte, daß er nicht ruhen würde, bis er nicht eine sichere Nachricht von ihr hatte. Wer ist dieser Scheißkerl? fragte er sich. Wie hat er mich gefunden?
Ärgerlich wartete und wartete er, bis er schließlich, in Panik geraten, ihn holen ging. Die Toilette war leer. Er lief auf die Straße hinaus, aber der Mann war verschwunden.
7
17.50 Uhr:
»Hallo, Ian«, sagte Penelope. »Du kommst früh. Hattest du einen guten Tag?«
»Ganz gut«, erwiderte Dunross zerstreut. Von allen anderen Katastrophen abgesehen, hatte Brian Kwok angerufen, um ihm mitzuteilen, daß AMG wahrscheinlich ermordet worden war. Der Polizeioffizier hatte ihm nahegelegt, Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen.
»Also doch nicht so gut«, bemerkte Penelope. »Wie wäre es mit einem Drink? Champagner vielleicht?«
»Eine gute Idee.« Dann bemerkte er ihr Lächeln und erwiderte es. Er fühlte sich gleich viel wohler. »Penn, du bist eine Gedankenleserin!« Er warf seine Aktentasche auf einen Serviertisch und folgte ihr in eines der Wohnzimmer des Großen Hauses.
Der Champagner stand bereits im Kübel.
»Kathy ist oben. Sie liest Glenna vor dem Einschlafen eine Geschichte vor.« Sie
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