Hongkong 02 - Noble House Hongkong
fröhlich zu – zu weit entfernt, um das Gesicht erkennen zu können.
»Und das soll meine Frau sein?« fragte Travkin mit rauher Stimme. »Ich glaube Ihnen nicht.«
Suslew legte ein zweites Bild auf den Tisch. Es war eine weißhaarige Dame um die Sechzig. Wenn auch der Kummer der ganzen Welt seine Spuren auf ihren Zügen hinterlassen hatte, zeugte ihr Gesicht immer noch von patrizischer Herkunft. Die Wärme ihres Lächelns brach seinen Widerstand. Er war sicher, sie wiedererkannt zu haben.
»Du Dreckskerl!« stieß er heiser hervor. »Du gemeiner KGB-Spitzel!«
»Werfen Sie mir vor, daß ich sie gefunden habe?« versetzte Suslew zornig. »Daß ich das Nötige getan habe, damit man sie in Frieden läßt, ihr keine Schwierigkeiten macht und sie nicht in … in eine Anstalt geschickt hat, die Sie und Ihre ganze Klasse verdient hätten?« Ärgerlich schenkte er sich ein frisches Glas ein. »Ich bin Russe und bin stolz darauf! Mein Vater ist 1916 auf den Barrikaden gefallen, und meine Mutter … bevor sie starben, waren sie fast verhungert. Sie …« und mit veränderter Stimme fuhr er fort: »Ich gebe zu, es ist auf beiden Seiten viel zu verzeihen und viel zu vergessen, doch nun ist alles vorbei, und ich sage Ihnen, wir Sowjets sind nicht alle Tiere.« Er fischte ein Zigarettenpäckchen aus der Tasche. »Rauchen Sie?«
»Nein. Sind Sie vom KGB oder von der GRU?« KGB war das Komitee für Staatssicherheit, GRU die Hauptverwaltung für Erkundung im Volkskommissariat für Verteidigung der UdSSR. Es war dies nicht das erstemal, daß sich Angehörige dieser Organisationen an ihn herangemacht hatten. Wer bist du, du Bastard? Und was willst du wirklich von mir? dachte er, während Suslew sich eine Zigarette anzündete.
»Ihre Frau weiß, daß Sie leben.«
»Unmöglich. Sie ist tot. Sie wurde vom Pöbel erschlagen, als unser Pal … unser Haus in Kurgan geplündert und in Brand gesteckt wurde … das hübscheste, wehrloseste Haus in einem Umkreis von hundert Meilen.«
»Die Massen hatten das Recht, sich …«
»Das waren keine Leute aus der Gegend. Der Pöbel wurde von importierten Trotzkisten angeführt, die später meine Bauern zu Tausenden ermordeten – bis sie alle von ihrem eigenen Gezücht umgebracht wurden.«
»Vielleicht war es so, vielleicht auch nicht«, gab Suslew kühl zurück. »Dennoch gelang es ihr, mit einer alten Dienerin zu entkommen und nach Osten zu fliehen. Sie dachte, sie könnte Sie finden, Ihnen durch Sibirien in die Mandschurei folgen. Die Dienerin war Österreicherin und hieß Pavchen.«
Travkin stockte der Atem. »Noch mehr Lügen«, hörte er sich sagen und glaubte es nicht mehr. »Meine Frau wäre nie so weit nach Norden geflüchtet.«
»Und doch hat sie es getan. Ihr Zug wurde nach Norden umgeleitet. Es war Herbst, und schon war der erste Schnee gefallen. Darum beschloß sie, im Winter in Jarkutsk zu bleiben. Sie konnte gar nichts anderes tun …« Suslew legte ein weiteres Foto auf den Tisch. »… sie war schwanger. Das ist Ihr Sohn mit seiner Familie. Die Aufnahme wurde voriges Jahr gemacht.« Der Mann sah gut aus, er war Mitte Vierzig und trug die Uniform eines Majors der sowjetischen Luftwaffe. Unsicher lächelte er in die Kamera. Neben ihm stand eine hübsche Frau in den Dreißigern mit drei fröhlichen Kindern: einem Baby, einem lachenden Mädchen von sechs oder sieben, dem ein paar Vorderzähne fehlten, und einem Jungen von zehn, der sich bemühte, ein ernstes Gesicht zu machen. »Ihre Frau taufte ihn Pjotr Iwanowitsch nach Ihrem Großvater.«
»Das Baby heißt Viktoria, das Mädchen Nikola nach Ihrer Großmutter und der Junge Alexei.«
Travkin blieb stumm. Seine Augen kehrten zum Porträt der schönen alten Dame zurück. Er war den Tränen nahe, aber seine Stimme klang immer noch beherrscht. »Sie weiß also, daß ich lebe, hm?«
»Seit drei Monaten. Einer von unseren Leuten hat es ihr gesagt.«
»Was für Leute sind das? Und warum erst vor drei Monaten? Warum nicht vor einem Jahr? Vor drei Jahren?«
»Wir haben erst vor sechs Monaten entdeckt, wer Sie sind.«
»Wenn sie weiß, daß ich lebe, und wenn einer Ihrer Leute es ihr gesagt hat, dann hätte sie geschrieben … Jawohl, man hätte sie sogar ersucht zu schreiben, wenn …«
»Sie hat Ihnen geschrieben. Ich gebe Ihnen den Brief in den nächsten Tagen. Wollen Sie sie wiedersehen?«
Travkin deutete auf das Familienbild. »Und … weiß auch er, daß ich lebe?«
»Nein. Es weiß keiner. Ihre Frau
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