Hongkong 02 - Noble House Hongkong
hätte vor Freude aufschreien mögen: Hast du es dir überlegt? Doch das ließen die guten Manieren nicht zu, und außerdem benützten die Chinesen nur ungern das Telefon und zogen eine Begegnung von Angesicht zu Angesicht vor.
»Selbstverständlich. Etwa um acht Glasen, zu Beginn der Mittelwache. Ich werde mich bemühen, pünktlich zu sein«, fügte er hinzu, als ihm einfiel, daß er um dreiviertel elf mit Brian Kwok verabredet war.
»Gut. Auf meinem Landeplatz. Ein Sampan wird warten.«
Mit klopfendem Herzen legte Dunross den Hörer auf. »Zuerst Crosse, Claudia, dann lassen Sie die Kirks ’rein! Dann gehen wir die Liste durch. Melden Sie ein Sammelgespräch an – mit meinem Vater, Alastair und Sir Ross, für fünf Uhr, das ist neun bei ihnen und zehn in Nizza. David und die anderen in den Staaten rufe ich heute abend an. Unnötig, sie mitten in der Nacht zu wecken.«
»Ja, Tai-Pan.« Claudia stellte die Verbindung mit Crosse her, reichte Dunross den Hörer und verließ das Büro.
»Ja, Oberinspektor?«
»Wie oft waren Sie in China?«
Die unerwartete Frage brachte Dunross einen Augenblick lang aus der Fassung. »Das ist alles aktenkundig«, antwortete er. »Es muß doch für Sie ein leichtes sein, das festzustellen.«
»Gewiß, aber könnten Sie versuchen, sich jetzt zu erinnern? Bitte.«
»Viermal in Kanton zur Messe, die letzten vier Jahre jedes Jahr. Und einmal in Peking mit einer Handelsdelegation voriges Jahr.«
»Ist es Ihnen jemals gelungen, von Kanton – oder Peking – ins Innere zu reisen?«
Dunross zögerte mit der Antwort. Noble House unterhielt viele lange bestehende Verbindungen und hatte viele alte und verläßliche Freunde in Kanton. Als Chinesen wußten sie alle, daß die Geschichte sich wiederholt, daß ganze Epochen sich über Nacht verändern konnten, daß einer, der heute morgen noch Kaiser war, möglicherweise schon nachmittags als räudiger Hund durch die Straßen schlich, daß nach dem Willen launenhafter Götter eine Dynastie auf die andere folgte, daß der erste jeder Dynastie den Drachenthron unweigerlich mit blutigen Händen bestieg, daß man danach strebte, sich immer einen Fluchtweg offenzuhalten – und daß gewisse Barbaren alte Freunde waren, denen man vertrauen konnte.
Weil man Noble House besonderes Vertrauen entgegenbrachte, war man schon viele Male, offiziell und inoffiziell, aber immer im geheimen, an Dunross herangetreten. Er hatte mehrere private Geschäfte am Kochen: alle Arten von Maschinen und nur beschränkt lieferbare Waren, einschließlich einer Flotte von Düsenflugzeugen.
Einmal hatte er an einer Konferenz in Hangtschou, dem schönsten Teil Chinas, teilgenommen, wo er und andere Mitglieder des Klubs 49 als geehrte Gäste Chinas fürstlich bewirtet wurden. Der Klub 49 bestand zumeist aus britischen Firmen, die nach 1949 auch weiterhin Handel mit der Volksrepublik China trieben. Kurz nachdem Tschiang Kai-schek nach Taiwan geflohen war, hatte Großbritannien Maos Regierung offiziell anerkannt. Trotzdem waren die Beziehungen zwischen den beiden Regierungen stets gespannt gewesen, nicht aber die zwischen alten Freunden – außer ein alter Freund mogelte und mißbrauchte das ihm entgegengebrachte Vertrauen.
»Ein paar Abstecher habe ich wohl gemacht«, erklärte Dunross locker; er wollte den Chef des SI nicht belügen. »Keine großen Abenteuer.«
»Könnten Sie mir wohl sagen, wohin?«
»Gern – wenn Sie sich etwas prägnanter ausdrücken würden«, entgegnete er in schrofferem Ton. »Wir sind Kaufleute, keine Politiker und keine Spione, und Noble House nimmt in Asien eine besondere Position ein. Wir sind schon seit gut ein paar Jährchen hier, und uns Kaufleuten ist es zu verdanken, daß der Union Jack über der halben Erde flattert … flatterte. Also, um was geht’s?«
Es entstand eine längere Pause. »Nichts … nichts Besonderes. Also gut, Ian, ich werde warten, bis wir das Vergnügen haben, die Dokumente zu Gesicht zu bekommen. Wiedersehen.«
Was will Crosse wissen? fragte sich Dunross beunruhigt. Von den Geschäften, die er gemacht hatte, entsprachen viele zweifellos nicht der offiziellen Regierungspolitik in London oder gar in Washington. Die Herren würden von Bannware sprechen; er sah die Dinge anders.
Mag da kommen, was will, gelobte er sich; solange ich Tai-Pan bin, wird sich an unseren Beziehungen zu China nichts ändern. Die Politiker in London und Washington wollen einfach nicht einsehen, daß die Chinesen zuerst einmal
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