Hongkong 02 - Noble House Hongkong
täglich zunahmen und es den Anschein hatte, als wäre das Schicksal der Kolonie besiegelt, ließ ich Tai-ping Shan, den ganzen stinkenden Berghang, nachts anzünden. Daß einige Bewohner dabei in den Flammen umkamen, belastet mein Gewissen, aber ohne das reinigende Feuer hätten noch Hunderttausende sterben müssen.
Am 20. April überbrachte ein Mann namens Tschiang Wu-tah die Halbmünze meinem geliebten jungen Vetter Dirk Dunross, der damit zu mir kam, da er das Geheimnis der Münze nicht kannte. Ich ließ diesen Tschiang rufen; er sprach Englisch.
Und dies war die Gunst, die er erbat: Noble House sollte einem jungen, im Westen erzogenen chinesischen Revolutionär namens Sun Yat-sen unverzüglich Zuflucht gewähren; wir sollten diesem Sun Yat-sen Geld zur Verfügung stellen und ihn, solange er lebte, bis an die Grenze des Möglichen in seinem Kampf unterstützen, der den Sturz der fremden Mandschu-Dynastie Chinas zum Ziel hatte. Einem Revolutionär gegen Chinas herrschende Dynastie zu helfen, mit der wir ausgezeichnete Beziehungen unterhielten, war gegen mein Prinzip, und ich erklärte Tschiang Wu-tah, daß ich nichts tun würde, um den Sturz des Kaisers herbeizuführen. Aber der Überbringer der Münze sagte nur: ›Das ist die Gunst, die wir von Noble House fordern.‹ Und so geschah es.
Unter großen Gefahren beschaffte ich Geldmittel und sorgte für Schutz. Mein Liebling Dirk Dunross brachte Dr. Sun aus Kanton nach Hongkong und von hier nach Amerika. Es wäre mir lieb gewesen, wenn Dr. Sun Dirk nach England begleitet hätte – er war Kapitän unseres Dampfschiffs Sunset Cloud, das mit der Flut auslaufen sollte. Das war die Woche, in der ich ihn zum wahren Tai-Pan machen wollte, aber er sagte nein. ›Erst nach meiner Rückkehr.‹ Aber er kam nicht zurück. Irgendwo im Indischen Ozean blieben er und seine ganze Mannschaft auf See. Was war das für ein Verlust!
Aber auch der Tod ist ein Teil des Lebens, und wir, die wir leben, haben unsere Pflicht zu erfüllen. Ich weiß noch nicht, wem ich mein Amt übergeben soll. Dirk Dunross’ Söhne sind zu jung, und von den Coopers und den deVilles ist keiner vollwertig, Daglish wäre möglich, von den MacStruans ist noch keiner soweit. Vielleicht Alastair Struan, aber ich sehe da eine Schwäche, die er von Robb Struan geerbt hat.
Ich stehe nicht an, vor dir, zukünftiger Tai-Pan, zu gestehen, daß ich der Mühen überdrüssig – aber darum noch nicht zu sterben bereit bin. Möge Gott mir die Kraft schenken, noch ein paar Jahre zu leben! Es gibt keinen, der in gerader Linie von mir oder meinem geliebten Dirk Struan abstammt und seiner hohen Stellung würdig wäre. Und jetzt heißt es den großen Krieg durchstehen, unsere Handelsflotte neu aufbauen – deutsche U-Boote haben bereits dreißig unserer Schiffe, fast unsere ganze Flotte, versenkt. Und dann müssen wir auch noch das Versprechen der zweiten Halbmünze einlösen. Dieser Dr. Sun Yat-sen muß bis zu seinem Tod unterstützt werden …«
Das haben wir auch getan, dachte Dunross, selbst noch bei seinem Versuch, sich mit der Sowjetunion zu verbinden, bis er 1925 starb und Tschiang Kai-schek, sein in der Sowjetunion ausgebildeter Stellvertreter, ihm nachfolgte und China den Weg in die Zukunft wies.
Dunross nahm ein Taschentuch heraus und trocknete sich die Stirn.
Die Luft im Tresor war staubig und trocken, und er hustete. Behutsam stöberte er in der tiefen Stahlkassette und fand schließlich den Konzern-Chop, den er über das Wochenende brauchen würde, wenn es zu dem Abschluß zwischen Struan’s und Royal Belgium – First Central kommen sollte. In diesem Fall bin ich Casey mehr als nur eine Gefälligkeit schuldig, sagte er sich.
Wieder klopfte ihm das Herz bis zum Hals, und er konnte nicht anders, er mußte sich überzeugen. Sehr vorsichtig hob er den doppelten Boden der Kassette um eine Spur. In dem zwei Zoll tiefen Raum lagen acht blaueingeschlagene Akten. Die echten AMG-Berichte. Die vor wenigen Augenblicken Sinders ausgehändigten waren in dem versiegelten Päckchen gewesen, das Kirk und seine Frau ihm gestern gebracht hatten – diese acht falschen Berichte und ein Brief: »Tai-Pan! Ich mache mir schreckliche Sorgen, daß Sie und ich verraten wurden und daß Informationen in den bisherigen Berichten in falsche Hände geraten könnten. Die beigeschlossenen Ersatzberichte sind sicher und sehr ähnlich. Wichtige Namen und Informationen wurden weggelassen. Wenn man Sie dazu zwingt – aber nur
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