Hongkong 02 - Noble House Hongkong
Vater von zwei Söhnen und zwei Töchtern – Lily Su, Havergills gelegentlicher Bettgefährtin, und Wisteria, die John Tschens Geliebte gewesen war – wartete vor dem Wertschalter.
»Na, Alter?« Der Kassenbeamte wurde ungeduldig.
Neunkarat Tschu zog ein Bündel Scheine aus der Tasche, alles, was er besaß und was er sich hatte leihen können – bis auf ein paar Cents für drei Prisen des weißen Pulvers, die er brauchte, um die Nachtschicht durchzustehen. »Doppelwette: Acht und fünf im zweiten, sieben und eins im fünften Rennen.«
Methodisch zählte der Kassierer das Geld – 728 HK. Er schob Neunkarat Tschu 145 Wettscheine zu 5 HK sowie 3 HK Wechselgeld durch das Fenster. »Beeil dich, Alter«, rief der nächste in der Reihe. »Hast du die Finger in deinem Gasometer?«
»Nur Geduld«, murmelte der Alte; eine Schwäche befiel ihn. »Das ist eine ernste Sache!« Sorgfältig überprüfte er die Scheine, bevor er seinen Platz aufgab und sich einen Weg durch die Menge ins Freie bahnte. In der frischen Luft fühlte er sich wohler, noch ein bißchen wackelig, aber wohler. Um das Fahrgeld zu sparen, war er den ganzen Weg von seiner Arbeit auf der Baustelle eines neuen Hochhauses oberhalb der Kotewall Road zu Fuß gegangen. Ich habe getan, was ich konnte, dachte er. Jetzt liegt die Entscheidung bei den Göttern.
Weil ihn die Brust schmerzte, schleppte er sich zur Toilette, wo er ein Streichholz anzündete und den Rauch des brutzelnden weißen Pulvers einatmete. Nach einer kleinen Weile fühlte er sich besser, und er ging wieder hinaus. Das zweite Rennen hatte bereits begonnen. Außer sich vor Aufregung – der Verwünschungen, die auf ihn niederprasselten, nicht achtend –, drängte er sich an die Barriere. Die Pferde kamen aus der entfernteren Kurve, galoppierten in der letzten Geraden auf ihn zu und waren schon wieder vorbei, als seine wäßrigen alten Augen noch versuchten, die Nummern zu erkennen.
»Wer führt?« Er stieß es keuchend hervor, aber keiner achtete auf ihn. Die Menschen feuerten das Pferd ihrer Wahl zum Sieg an – in einem gewaltigen Aufdröhnen, das erst erstarb, als der Sieger durchs Ziel ging.
»Wer hat gewonnen?« In wachsender Erregung rief er: »Ich kann den Totalisator nicht lesen. Wer hat gewonnen?«
»Es war ein Fotofinish, alter Narr, siehst du das nicht? Drei Pferde waren zusammen.
Wir müssen warten.«
»Aber die Nummern … welche Nummern waren es?«
»Fünf, acht und vier, Lucky Court, mein Pferd, das Pferd, auf das ich gesetzt habe. Komm schon, du Sohn einer Hurentitte! Vier und acht auf die Zwillingswette!«
Sie warteten und warteten. Der alte Mann fürchtete, in Ohnmacht zu fallen, darum dachte er an Erfreulicheres wie zum Beispiel sein Gespräch mit Noble House Tschen heute morgen. Dreimal hatte er angerufen, und jedesmal hatte sich ein Diener gemeldet und ihn abgewimmelt. Erst nachdem er »Werwolf« gesagt hatte, war Noble House Tschen an den Apparat gekommen.
»Bitte entschuldigen Sie, daß ich die elenden Schlächter Ihres Sohnes erwähne«, hatte er begonnen. »Ich war es nicht, Ehrenwerter Herr, o nein! Ich bin nur der Vater der Geliebten Ihres verstorbenen Sohnes, der Vater von Wisteria Su, die er in einem Brief, der in allen Zeitungen abgedruckt war, seiner ewigen Liebe versichert hat.«
»Lügen! Alles Lügen! Halten Sie mich für einen Dummkopf, der sich von jedem hergelaufenen Hundewürstchen erpressen läßt? Wer sind Sie?«
»Ich heiße Hsi-men Su«, hatte er geantwortet, und die Lüge war ihm nicht schwergefallen. »Es gibt noch zwei Briefe, verehrungswürdiger Tschen. Ich dachte, es könnte vielleicht Ihr Wunsch sein, sie zurückzubekommen, wenngleich es alles ist, was uns von meiner armen toten Tochter und Ihrem armen toten Sohn – den ich in all den Monaten wie meinen eigenen Sohn zu lieben gelernt habe – geblieben ist …«
»Lügen, nichts als Lügen! Dieses glattzüngige Flittchen hat nie irgendwelche Briefe von meinem Sohn bekommen. Unsere Polizei steckt Fälscher ins Gefängnis, jawohl! Bin ich ein Bauerntölpel? Als nächstes werden Sie mir wohl ein Baby vorlegen und behaupten, mein Sohn hätte es gezeugt, nicht wahr?«
Fast hätte Neunkarat Tschu den Hörer fallen lassen. Genau diesen Trick hatte er zusammen mit seiner Frau, seinen Söhnen und Lily ausgeheckt. Eine Verwandte zu finden, die für eine bescheidene Summe ihr Baby herlieh, war nicht schwer.
»He, he«, stotterte er, »bin … bin ich ein Lügner? Ich, der ich mich
Weitere Kostenlose Bücher