Hongkong 02 - Noble House Hongkong
hatte P. B. White während eines leichten, aber um so schmackhafteren chinesischen Essens großspurig von sich gegeben. »Ich bin hier sowas wie ein unbezahlter Portier.«
»Was Sie nicht sagen!«
»Doch. Glücklicherweise besteht keine Verbindung zwischen diesem Teil des Hauses und der Bank, sonst hätte ich ständig die Finger in der Schalterkasse!«
Die Aufzugstür öffnete sich. Sie betraten die enge Kabine. P. B. White drückte auf den untersten von drei roten Knöpfen. »Der liebe Gott wohnt im obersten Geschoß«, kicherte er. »Wenn er da ist.«
»Wann wird er zurückerwartet?« fragte Dunross.
»In drei Wochen. Aber es hat sein Gutes, wenn er so weit fort ist; wüßte er, was hier los ist, er käme mit der nächsten Maschine zurück. Er ist ein wunderbarer Mensch, Miss Tcholok. Bedauerlicherweise ist er schon seit einem Jahr krank, und in drei Monaten geht er in Pension. Ich habe ihn dazu überredet, Urlaub zu machen und nach Kaschmir zu fahren; ich kenne dort einen kleinen Ort am Dschihlam, nördlich von Srinagar. Der Talboden liegt in sechstausend Fuß Höhe zwischen den gewaltigsten Bergen der Erde. Es ist ein wahres Paradies. Auf den Flüssen und Seen gibt es Hausboote, auf denen man sich treiben läßt, fernab von jedem Telefon und Postamt. Man ist allein mit der Unendlichkeit. Die Luft ist herrlich, das Essen wunderbar.« Er zwinkerte. »Um dort hinzufahren, muß man sehr krank sein, oder man kommt mit einem Menschen, den man sehr liebt.«
Sie lachten, und Gavallan fragte: »Haben Sie das auch gemacht, P. B.?«
»Selbstverständlich, lieber Freund. Das erstemal war ich 1915 dort. Ich war siebenundzwanzig und auf Urlaub von den Third Bengal Lancers.« Er parodierte einen liebeskranken Jüngling. »Sie war eine georgische Prinzessin.«
Dunross nickte. »Und was haben Sie wirklich in Kaschmir gemacht?«
»Ich war auf zwei Jahre vom englischen Generalstab abgestellt. Dieses ganze Gebiet, der Hindukusch, Afghanistan und das heutige Pakistan an der Grenze Rußlands und Chinas, ist immer unruhig gewesen und wird es immer sein. Dann wurde ich nach Moskau geschickt – das war Ende 1917.« Er preßte ein wenig die Lippen zusammen. »Ich war dort, als die Regierung Kerenski durch einen Putsch Lenins und Trotzkis und ihrer Bolschewiken gestürzt wurde …« Der Aufzug hielt, und sie stiegen aus. Shu, sein Hausboy Nummer Eins, wartete an der offenen Wohnungstür.
»Kommen Sie rein und machen Sie es sich bequem«, sagte P.B. jovial. »Champagner steht im Vorraum. Ach, Ian, Sie wollten telefonieren?«
»Ja, bitte.«
»Kommen Sie, das Telefon steht in meinem Arbeitszimmer!« Die Wohnung war geräumig – vier Schlafzimmer, drei kleinere Zimmer, ein Speiseraum für etwa zwanzig Personen. Drei Wände des Arbeitszimmers wurden von Büchern eingenommen.
Altes Leder, das Aroma von guten Zigarren, ein Kamin, Brandy, Whisky und Wodka in geschliffenen Karaffen. Und Portwein.
Er schloß die Tür hinter sich und Dunross. »Wie lange werden Sie brauchen, Ian?«
»Ich werde mich beeilen.«
»Keine Bange, ich werde meine Gäste unterhalten – und wenn Sie nicht rechtzeitig zurück sind, werde ich Sie bei ihnen entschuldigen. Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?«
»Setzen Sie Tiptop zu!« Dunross hatte ihn bereits früher über den möglichen Tauschhandel informiert, allerdings nichts von den AMG-Berichten und seinen Problemen mit Sinders gesagt.
»Morgen werde ich ein paar Freunde in Peking und Schanghai anrufen. Vielleicht erscheint es ihnen von Vorteil, uns zu helfen.«
Dunross kannte P. B. White seit vielen Jahren, wußte allerdings nur wenig über ihn – über seine Familie, über die Herkunft seines Geldes und was er wirklich mit der Victoria Bank zu tun hatte. »Ich bin eine Art juristischer Berater, obwohl ich mich schon seit Jahren zurückgezogen habe«, pflegte er zu sagen und es dabei zu belassen.
Aber Dunross kannte ihn als einen Mann von großem persönlichen Charme, mit vielen ebenso diskreten Freundinnen. »Casey ist eine phantastische Frau, nicht wahr, P. B.«, sagte er lachend. »Ich glaube fast, Sie haben sich verknallt.«
»Ja, das glaube ich auch. Ach, wäre ich nur um dreißig Jahre jünger! Und diese Riko!« Er zog seine Augenbrauen hoch. »Entzückend. Sind Sie sicher, daß sie verwitwet ist?«
»Ziemlich sicher.«
»Von der Sorte können Sie mir noch drei Stück schicken, Tai-Pan.« Er lachte sein runzeliges Lachen, ging zum Regal hinüber und betätigte einen Schalter. Ein
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