Hongkong 02 - Noble House Hongkong
zugesagt?«
»Er hat versprochen, Tiptop heute nachmittag anzurufen – und er wollte auch mit einem Freund in Peking reden.«
Um Punkt sieben wählte Dunross Tiptops Nummer. »Mr. Tip, bitte! Ian Dunross.«
»Guten Abend, Tai-Pan. Wie geht es Ihnen? Wie ich höre, könnte es sein, daß Sie nächsten Sonnabend Noble Star reiten?«
»Es wäre möglich.« Sie sprachen über Belanglosigkeiten, und dann sagte Tiptop:
»Und dieser Unglückliche? Wann spätestens soll er freigelassen werden?«
Dunross setzte seine Zukunft aufs Spiel. »Morgen bei Sonnenuntergang in Lo Wu.«
»Können Sie persönlich garantieren, daß er da sein wird?«
»Ich gebe Ihnen meine persönliche Garantie, daß ich alles in meiner Macht Stehende unternommen habe, um die Behörden dazu zu bringen, ihn freizulassen.«
»Damit ist aber nicht gesagt, daß er auch wirklich da sein wird, nicht wahr?«
»Nein. Aber er wird da sein. Ich bin … Hören Sie, Mr. Tip«, setzte er an, und ihm war fast übel vor Erregung, »wir leben in schweren Zeiten. Alte Freunde brauchen alte Freunde wie nie zuvor. Vertraulich – sehr vertraulich – habe ich erfahren, daß unsere Special Branch in den letzten zwei Tagen Kenntnis von einem hier agierenden sowjetischen Spionagering erlangt hat, einem Schweigenetz mit der Codebezeichnung Sevrin. Sevrins Ziel ist die Zerstörung der Verbindungen, die das Reich der Mitte mit dem Rest der Welt unterhält.«
»Das ist nichts Neues, Tai-Pan. Imperialisten sind Imperialisten. Diesbezüglich gibt es keinen Unterschied zwischen dem zaristischen und Sowjetrußland. Seit vierhundert Jahren geht das so. Vierhundert Jahre sind seit ihren ersten Raubzügen in unserem Land vergangen. Aber bitte fahren Sie fort!«
»Meiner Meinung nach werden Hongkong und das Reich der Mitte als gleichrangige Ziele ins Auge gefaßt. Wir sind euer einziges Fenster zur Welt. Jede Störung hier kann nur den Imperialisten Vorteile bringen. Ein Teil der der Special Branch vorliegenden Dokumentation ist in meine Hände gelangt.« Dunross begann wörtlich aus AMGs Bericht zu zitieren. Es schien, als läse er von den Seiten ab, die er mühelos aus seiner Erinnerung heraufbeschwor. Er gab Tiptop alle Einzelheiten bekannt, die auf Sevrin, die Spione und den Maulwurf in der Polizei Bezug hatten.
Schweigen folgte. »Welches Datum trägt das Sevrin-Dokument, Tai-Pan?«
»Es wurde von einem ›L. B.‹ am 14. März 1950 genehmigt.«
Ein langer Seufzer. »Lawrentji Berija?«
»Das weiß ich nicht.« Je intensiver sich Dunross mit diesem neuen Manöver beschäftigte, desto größer wurde seine Erregung, weil er jetzt sicher war, daß diese Informationen und eindeutigen Beweise, wenn sie in Peking in die richtigen Hände gerieten, grundlegende Veränderungen in den sowjetisch-chinesischen Beziehungen nach sich ziehen würden.
»Besteht die Möglichkeit, dieses Dokument zu sehen?«
»Ja, die Möglichkeit besteht«, antwortete Dunross, während ihm der Schweiß über den Rücken lief, sehr zufrieden, daß er in kluger Voraussicht die auf Sevrin bezüglichen Teile des AMG-Berichtes fotokopiert hatte.
»Und das Dokument des tschechischen StB, das Sie erwähnten?«
»Ja, den Teil, den ich habe. Er ist vom 6. April 1959 datiert.«
»Unsere sogenannten Verbündeten waren also schon immer Wolfsherzen und Hundelungen?«
»Ich fürchte ja.«
»Wie kommt es, daß Europa und diese Kapitalisten in Amerika nicht verstehen, wer der wirkliche Feind in dieser Welt ist? Heya ?«
»Das ist schwer zu verstehen«, antwortete Dunross, der jetzt beschloß, eine abwartende Haltung einzunehmen.
Nach einer kleinen Pause nun wieder Herr seiner Gefühle, sagte Tiptop: »Ich bin sicher, meine Freunde würden gern Kopien dieses Sevrin-Dokuments und der dazugehörigen Beweisunterlagen sehen.«
Dunross wischte sich den Schweiß von der Stirn, aber seine Stimme blieb ruhig.
»Als ›alter Freund‹ ist es mein Privileg, Ihnen, wo ich kann, zu Diensten zu sein.«
Wieder Schweigen. »Ein gemeinsamer Freund hat mich angerufen und mir mitgeteilt, daß er Ihr an die Bank of China gerichtetes Ersuchen befürwortet, und vor wenigen Minuten rief eine hochgestellte Persönlichkeit aus Peking an und ließ durchblicken, daß man jede Unterstützung, die Ihnen gewährt werden könnte, als verdienstvoll ansehen würde.« Dunross glaubte zu spüren, wie Tiptop – und die anderen, die vermutlich mithörten – sorgsam abwägten, nickten oder die Köpfe schüttelten. »Würden Sie mich
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