Hongkong 02 - Noble House Hongkong
einen kleinen Erdrutsch gegeben, und ich mußte meinen Wagen dort stehenlassen. Wollten … wollten Sie hier jemanden besuchen?«
»Nein. Ich war gerade im Gehen. Wohnen Sie hier?«
»Ja. Ja, ich wohne hier.«
Schweigen trat ein. Dann nickte Casey ein höfliches Guten Abend und wollte ihren Weg fortsetzen.
»Vielleicht sollten wir miteinander reden«, sagte Orlanda, und Casey blieb stehen.
»Hätten Sie jetzt Zeit?«
»Ich denke schon.«
»Würden Sie mich zu meinem Wagen zurückbegleiten? Ich muß noch ein paar Pakete holen. Hier oben bekommen Sie sowieso kein Taxi.«
»Gern.«
Die Nacht war kühl, aber beide Frauen brannten vor Erregung. Sie wußten, was jetzt kommen mußte, und eine fürchtete die andere. Die Straße war naß vom Wasser, das zu Tal schoß. Die Wolkendecke verhieß baldigen Regen. Vor sich, in fünfzig Meter Entfernung, sah Casey, daß der Straßendamm teilweise eingebrochen und Erde und Geröll, Strauchwerk und Schutt auf die Fahrbahn geschwemmt worden waren. Auf der anderen Seite der Rutschung stauten sich Automobile, die ungeduldig versuchten umzukehren. Einige wenige Fußgänger arbeiteten sich mühevoll vorwärts.
»Wohnen Sie schon lange im Rose Court?« fragte Casey.
»Schon seit einigen Jahren. Ich fühle mich sehr wohl hier. Ich … Ach! Waren Sie auf Jason Plumms Party?«
»Ja.« Casey sah die Erleichterung auf Orlandas Gesicht, und es ärgerte sie, aber sie verhielt ihren Ärger. »Orlanda«, sagte sie und blieb stehen, »eigentlich haben wir einander nichts zu sagen. Meinen Sie nicht auch?«
Orlanda sah sie an. »Linc ist bei mir oben.«
»Das dachte ich mir.«
»Stört Sie das nicht?«
»Es stört mich sogar sehr. Aber das geht nur Linc etwas an. Wir sind nicht verheiratet, wie Sie wissen, nicht einmal verlobt, wie Sie ebenfalls wissen – Sie haben Ihre Methode, ich habe meine, und darum …«
»Was wollen Sie damit sagen?« fragte Orlanda.
»Damit will ich sagen, daß ich Linc seit sieben Jahren kenne; sie kennen ihn seit sieben Tagen.«
»Das spielt keine Rolle«, konterte Orlanda herausfordernd. »Ich liebe ihn, und er liebt mich.«
»Das wird sich noch herausstellen. Gute Nacht, Orlanda«, sagte Casey und hätte ihr ins Gesicht schreien mögen: Du verdienst dir dein Geld im Bett, ich muß dafür arbeiten. Und was du Liebe nennst, buchstabiere ich G-e-l-d. Die Männer sind ja so dumm!
»Es ist komisch, aber ich gebe Linc keine Schuld«, murmelte sie, ihr Blick ruhte auf dem energischen Kinn, den blitzenden, entschlossenen Augen und dem perfekten, sinnlichen und doch adretten Körper. »Gute Nacht!« Sie ging weiter. Jetzt muß ich meinen Plan ändern, dachte sie. Heute nacht wollte ich Linc alle meine Liebe schenken, aber jetzt muß sich alles ändern. Wenn er in ihrem Bett liegt, ist er ihrem Zauber verfallen. Mein Gott, bin ich froh, daß ich das erfahren habe! Wenn ich mich ihm heute nacht angeboten hätte, er hätte mich zurückgewiesen, und dann … Jetzt kann ich … was soll ich nur tun?
Zum Teufel mit den Orlandas dieser Welt! Die haben es leicht. Sie haben nur die Jagd auf den Mann im Kopf. Und wir? Was tue ich? Setze ich auch weiterhin auf den 25. November und darauf, daß Orlanda ihm dann schon zum Hals heraushängt? Aber das wird sie nicht. Diese Dame ist reines Dynamit, und sie weiß, Linc ist ihr Paß in die Ewigkeit.
Ihr Herz schlug schneller. Aber ich bin ihr gewachsen, dachte sie voll Zuversicht.
Vielleicht nicht im Bett oder in der Küche, aber ich kann lernen.
Sie stieg über das Geröll, verwünschte den Schlamm, der ihre Schuhe beschmutzte, und sprang auf der anderen Seite des Erdhaufens wieder hinunter. Dunross’ Rolls und sein Chauffeur standen an der Spitze der Autokolonne.
»Verzeihung, Misee, ist der Tai-Pan noch oben?«
»Ja, er ist noch oben.«
»Danke sehr.« Der Fahrer verschloß den Wagen, kletterte über den Erdwall und eilte die Straße hinauf. Casey drehte sich nach ihm um. Ihre Blicke trafen auf Orlanda, die hinter ihr herkam. Am liebsten hätte sie sie niedergestoßen, in den Dreck gestoßen. Der Gedanke belustigte sie. Aber Orlanda schritt furchtlos an ihr vorbei. Könnte sein, du hast genau solche Angst vor mir und meiner Macht wie ich vor dir und deinem Einfluß, dachte sie. Sie richtete ihren Blick auf den Rose Court, einen glitzernden, strahlenden Turm, und fragte sich, welches Licht Linc einhüllte oder hinter welchem dunklen Fenster er sich verbarg.
Als Orlanda Casey gesehen hatte, war ihr erster Gedanke
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