Hongkong 02 - Noble House Hongkong
befand sich in einer Tiefe von zwanzig Fuß unter einer Käseglocke aus Eisenträgern, die ihn davor bewahrten, von den Trümmern zerquetscht zu werden. Als die Steinlawine vor fast drei Stunden niedergegangen war, hatte er sich in der Küche aufgehalten, an einem eiskalten Bier genippt und auf die Stadt hinuntergeblickt.
Er war gebadet und angezogen, fühlte sich herrlich und wartete auf Orlandas Rückkehr. Mit einemmal stürzte er in die Tiefe, die ganze Welt stand Kopf, der Fußboden kam ihm entgegen, unten leuchteten die Sterne, oben flimmerte die Stadt. Gleichzeitig entlud sich eine riesenhafte tonlose Explosion, schnürte ihm die Luft ab und schleuderte ihn in einen bodenlosen Abgrund.
Er hatte lange gebraucht, das Bewußtsein wiederzuerlangen. Er konnte nicht fassen, was geschehen war oder wo er sich befand. Alles tat ihm weh. Seine Hände berührten Dinge, die er nicht begriff. Die Finsternis verursachte ihm Übelkeit. Von Panik ergriffen, sprang er auf, stieß mit dem Kopf gegen einen hervorstehenden Betonbrocken, der einmal Teil der Außenwand gewesen war, und fiel betäubt zurück. Die Reste eines Lehnstuhls bremsten seinen Sturz. Erst nach einer kleinen Weile konnte er wieder klar denken. Sein Kopf dröhnte. Die Leuchtziffern seiner Armbanduhr erregten seine Aufmerksamkeit. Zwanzig Minuten fehlten bis Mitternacht.
Ich erinnere mich … woran? »Verdammt nochmal«, murmelte er. »Nimm dich zusammen! Wo, zum Teufel, bin ich?« Mit wachsendem Entsetzen spürte er der Finsternis nach. Er konnte nur wenig sehen und nichts erkennen. Die Reste eines Zimmers? Von irgendwo fiel eine Spur von Licht auf eine glänzende Oberfläche. Es war ein kaputter Gasherd. Mit einemmal flutete seine Erinnerung zurück.
»Ich habe in der Küche gestanden«, stieß er hervor, »jawohl, und Orlanda war einkaufen gegangen … Es muß so gegen neun gewesen sein, als … als es geschah. War es ein Erdbeben?«
Vorsichtig befühlte er Gesicht und Glieder, aber bei jeder Bewegung verspürte er einen stechenden Schmerz in der rechten Schulter. »Scheiße«, murmelte er, »ich muß sie mir verrenkt haben!« Sein Gesicht brannte, und das Atmen fiel ihm schwer.
Aber sonst schien alles zu funktionieren, obwohl jedes Gelenk sich anfühlte, als ob man ihn aufs Rad geflochten hätte, und ihn der Kopf stark schmerzte. »Du bist in Ordnung, du kannst atmen, kannst sehen, kannst hören – aber was, zum Teufel, ist passiert? Es kommt mir vor wie damals auf Iwo Jima.«
Er lehnte sich zurück, um seine Kräfte zu sparen. »So wird’s gemacht«, hatte der alte Spieß ihnen gesagt, »ihr lehnt euch zurück und gebraucht eure Birnen, wenn ihr in eine Höhle geraten oder von einer Bombe verschüttet worden seid. Vergewissert euch zuerst, daß ihr ordentlich atmen könnt, daß eure Glieder heil sind und daß euer Gehör funktioniert! Daß eure Augen okay sind, das werdet ihr verdammt schnell heraus haben. Und dann legt euch zurück, gebraucht euer Hirnschmalz und geratet nur ja nicht in Panik! Panik bringt euch um. Ich habe schon Kerle nach vier Tagen ausgegraben – kackfidel waren sie. Solange ihr atmen, sehen und hören könnt, schafft ihr es leicht, eine Woche durchzuhalten. Aber ich habe auch andere Typen gekannt, die holten sie innerhalb von Stunden heraus, aber sie waren schon im Schlamm, im Dreck oder in ihrer eigenen Angstkotze erstickt oder mit ihrem Schädel gegen einen Fels gerannt. Und wir waren nur noch ein paar Meter von diesen Idioten weggewesen. Hätten sie ruhig dagelegen, wie ich es euch jetzt erklärt habe, sie hätten uns gehört und sich durch Schreien bemerkbar machen können. Wenn ihr in Panik geratet, seid ihr schon so gut wie tot. Hundert Prozent. Ich war schon fünfzigmal verschüttet. Nur keine Panik!«
»Keine Panik! Auf keinen Fall«, sagte Bartlett laut und fühlte sich gleich wohler.
Während der schweren Kämpfe auf Iwo Jima war der Hangar, an dem er mitgebaut hatte, bei einem Bombardement in die Luft geflogen und er verschüttet worden.
Nachdem er sich die Erde aus Augen, Mund und Ohren gerieben hatte, war er in Panik geraten, erinnerte sich aber noch rechtzeitig: keine Panik! Er hatte am ganzen Körper gezittert wie ein Hund, dem man mit der Peitsche droht, aber er hatte seine Angst niedergekämpft. Erst dann schaute er sich sorgfältig um. Es war Tag, und so konnte er recht gut sehen und fand schließlich auch den Anfang eines Fluchtwegs.
Aber er war ruhig liegen geblieben, wie man ihn gelehrt hatte.
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