Hongkong 02 - Noble House Hongkong
Gabelung der Kotewall Road unter einem provisorischen Vordach eingerichtet hatte. Dort versuchten aufgeregte Verwandte wie er, die Toten oder Verwundeten zu identifizieren und die Namen jener weiterzugeben, die als vermißt galten. Vor einer halben Stunde war einer der Feuerwehrleute durch einen Berg von Schutt zu einem Sektor vorgedrungen, der dem fünften Stock des eingestürzten Hauses entsprach. Richard und Mailing Kwang waren dort geborgen worden, dann Jason Plumm, dem der halbe Schädel fehlte, und dann, mehr tot als lebendig, auch noch eine Reihe anderer.
Paul Tschoy zählte die Tragen. Es waren vier. Von dreien waren die Körper mit Tüchern zugedeckt. Wie vergänglich doch das Leben ist, dachte er und stellte sich wieder die Frage, wie es morgen an der Börse zugehen werde. Ob sie wohl geschlossen bleibt, weil man den Toten den gebührenden Respekt bezeugen will? Du lieber Himmel, wenn sie den ganzen Montag geschlossen bleibt, steht Struan’s am Dienstag bei Börsenbeginn mit absoluter Sicherheit auf dreißig – kann gar nicht anders sein! Es rumorte in seinem Magen, und Schwäche überkam ihn. Freitag, kurz vor Börsen-Schluß, hatte er jeden Penny, den Vierfinger ihm widerstrebend anvertraut hatte, fünfmal riskiert: gekauft, auf die gekauften Aktien wieder Geld geliehen, dafür wieder Aktien gekauft – und das fünfmal! Fünfmal zwei Millionen HK. Er hatte Struan’s, Blacs, Victoria Bank und Ho-Pak gekauft und darauf spekuliert, daß der Tai-Pan an diesem Wochenende die Niederlage irgendwie in Sieg verwandeln, daß sich die Gerüchte, wonach China bereit war, den Banken Bargeld zur Verfügung zu stellen, bewahrheiten würden. Seit seiner ersten Begegnung mit Gornt in Aberdeen, als er ihn auf die Möglichkeit einer Sanierung der Ho-Pak durch die Blacs oder die Victoria hingewiesen und ein Aufflackern in seinen listigen Augen wahrgenommen hatte, ging ihm die Frage im Kopf herum, ob die Großkotzigen da nicht eine Gaunerei planten. Ja, es sind Großkotzige! Sie haben Hongkong an der Gurgel. Und sie hören das Gras wachsen. Mann, o Mann! Als Richard Kwang ihn auf dem Rennplatz ersucht hatte, für ihn Ho-Pak-Aktien zu kaufen, und Havergill nur wenig später die Übernahme verkündet hatte, war er auf die Herrentoilette gelaufen, um sich zu erbrechen … Zehn Millionen in Ho-Pak, Blacs und Struan’s zum Tiefstkurs eingekauft. Und als heute abend in den Neun-Uhr-Nachrichten bekanntgegeben wurde, daß China eine halbe Milliarde in bar zur Verfügung stellte, wußte er, daß er Multimillionär geworden war.
Die Sanitäter gingen weiter. Wie betäubt folgte er ihnen zur Erste-Hilfe-Station. Im Hintergrund führte Dr. Meng Notoperationen durch. Paul Tschoy sah, wie Dr. Tooley ein Tuch zurückschlug. Eine Europäerin. Ihre Augen standen offen und starrten ins Leere. Dr. Tooley seufzte und deckte sie wieder zu. Dann ein englischer Junge, keine zehn Jahre alt, auch er tot. Dann ein Chinesenkind. Auf der letzten Trage lag ein Chinese; er blutete und schien starke Schmerzen zu haben. Rasch gab Dr. Tooley ihm eine Morphiumspritze.
Paul Tschoy wurde übel, und er verließ eilig den Raum. »Sie können hier nichts tun«, sagte Dr. Tooley gütig, als er zurückkam. »Da, nehmen Sie das, es wird Ihren Magen beruhigen!« Er gab ihm zwei Aspirin und etwas Wasser. »Setzen Sie sich doch in einen der Wagen und warten Sie dort! Sobald wir etwas von Ihrem Onkel erfahren, lasse ich Sie sofort rufen.«
»Danke.«
Noch mehr Bahren wurden gebracht. Ein Rettungswagen fuhr vor. Sanitäter hoben Verletzte hinein, und die Ambulanz verschwand im Nieselregen. Unter freiem Himmel, weg vom widerwärtigen Geruch nach Blut und Tod, fühlte sich der junge Mann wohler.
»Hallo, Mr. Tschoy, gibt’s was Neues?«
»Leider nein, Tai-Pan.« Er hatte Dunross schon früher getroffen und ihm von Vierfinger erzählt. Dunross war erschüttert gewesen und hatte sich sehr besorgt gezeigt.
Er zögerte. »Keine Nachrichten sind oft gute Nachrichten. Lächler Tsching hat es geschafft, also hoffen wir das Beste, nicht wahr?«
»Gewiß, Sir!«
Dunross eilte die Straße zur Sperre hinauf, und während Paul Tschoy ihm nachsah, ging er die ihm möglich erscheinenden Entwicklungen im Geist noch einmal durch.
Nachdem der Tai-Pan General Stores so elegant übernommen hatte – fürwahr ein gekonntes Manöver! – und jetzt drauf und dran war, den Kopf aus Gornts Schlinge zu ziehen, muß sein Kurs auf 30 steigen. Und die Ho-Pak, deren Kurs sich auf
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