Hongkong 02 - Noble House Hongkong
gelauscht und Entscheidungshilfen für den Zeitpunkt gesucht, da er die Wahl zwischen Dunross und Gornt würde treffen müssen. Bleibt es bei Dunross, überlegte er im stillen, muß Gavallan gehen, denn er ist ein Feind. Der junge Struan haßt Dunross, der Franzose ist mir ein Rätsel, und Dunross selbst ist gefährlich wie Nitroglyzerin. »Klingt phantastisch, was Sie mir da über die ›Hexe‹ erzählen«, sagte er, »und Dirk Struan muß ein Original gewesen sein.«
»Das ist wirklich ein Meisterstück an Untertreibung«, konterte deVille, und seine Augen funkelten. »Er war der größte Pirat Asiens! Sehen Sie sich nur einmal Dirks Porträt an, und Sie werden sofort die Familienähnlichkeit entdecken! Unser Tai-Pan ist ihm wie aus dem Gesicht geschnitten, und ma foi, er hat auch seine schlechtesten Eigenschaften geerbt.«
»Rutsch mir den Buckel runter«, versetzte Dunross gutmütig und, an Casey gerichtet: »Es ist alles nicht wahr. Jacques nimmt mich immer auf den Arm. Ich bin ganz anders als Dirk Struan.«
»Aber Sie stammen von ihm ab?«
»Ja. Meine Urgroßmutter war Dirks einzige legitime Tochter Winifred. Sie heiratete Lechie Struan-Dunross, einen entfernten Verwandten. Sie hatten einen Sohn, das war mein Großvater; nach Culum wurde er Tai-Pan. Meine Familie – die Dunross’ – sind Dirk Struans einzige direkte Nachkommen.«
»Diese Winifred war die einzige legitime Tochter?«
Dunross lächelte. »Dirk hatte noch andere Kinder. Eines war Gordon Tschen, der Sohn einer Dame, die eigentlich Shen hieß. Das ist heute die Tschen-Linie. Dann gibt es auch noch die T’Tschung-Linie, benannt nach Duncan T’Tschung und Kate T’Tschung, seinem Sohn und seiner Tochter mit der berühmten May-may T’Tschung. Das behauptet jedenfalls die Legende.« Dunross zögerte, und die Tiefe seines Lächelns zeichnete Fältchen um seine Augen. »Unsere Vorfahren in Hongkong und Schanghai waren, nun ja, entgegenkommende Leute und die chinesischen Damen sehr schön, wie sie es ja heute noch sind. Aber nur selten heirateten sie ihre Damen, und die Pille ist ja erst eine neue Erfindung – man weiß also nicht immer genau, mit wem man verwandt ist. Wir reden über diese Dinge nie in der Öffentlichkeit – nach wahrer Britenart tun wir, als gäbe es das Problem nicht – und so verliert niemand sein Gesicht.«
»Es geht alles sehr zivilisiert zu«, sagte Gavallan.
»Manchmal«, bemerkte Dunross.
»Dann ist also John Tschen mit Ihnen verwandt?« fragte Casey.
»Wenn Sie ins Paradies zurückgehen, ist wohl jeder mit jedem verwandt.« Dunross warf einen Blick auf den leeren Stuhl. Es sah John gar nicht ähnlich, einfach davonzulaufen, dachte er voll Unbehagen, und er ist auch nicht der Mann, der, aus welchen Gründen immer, etwas mit Waffenschmuggel zu tun hat. Oder so dumm zu sein, sich erwischen zu lassen. Und er ist zu bekannt, als daß man ihn nicht gesehen hätte, wenn er heute früh an Bord eines Flugzeugs gegangen wäre -- so war es also auch nicht. Es muß per Boot gewesen sein – wenn er sich davongemacht hat. Ein Boot wohin? Macao? Nein, das wäre eine Sackgasse. Mit dem Schiff? Tag für Tag gibt es dreißig bis vierzig planmäßige Abfahrten nach allen Weltteilen, große Schiffe und kleine Schiffe, ganz zu schweigen von Tausenden Dschunken, und selbst wenn man es eilig hat, ein paar Dollar in die richtigen Hände, das reicht, um jemanden oder etwas hinauszuschmuggeln – hinaus oder herein. Männer, Frauen, Kinder, Drogen. Irgendwas. Aber kein Grund, etwas hereinzuschmuggeln außer Menschen, Drogen, Waffen, Alkohol, Zigaretten oder Benzin – alles andere ist zollfrei und unterliegt keinen Beschränkungen.
Außer Gold.
Ein Lächeln spielte um Dunross’ Lippen. Man importiert das Gold ganz legal mit Genehmigung für den Durchgangsverkehr nach Macao, und was dann damit geschieht, geht niemanden etwas an und ist außerordentlich profitabel. Jawohl, dachte er, und heute nachmittag tritt der Aufsichtsrat unserer Nelson Trading zu einer Sitzung zusammen. Gut. Das ist ein Geschäftszweig, bei dem nie etwas schiefgeht.
Während er von dem auf einer silbernen Platte gereichten Fisch nahm, merkte er, daß die Amerikanerin ihn anstarrte. »Ja, Casey?«
»Ich zerbreche mir gerade den Kopf, woher Sie meinen Namen wußten.« Sie wandte sich an Bartlett. »Der Tai-Pan hat mich überrascht, Linc. Noch bevor wir einander vorgestellt wurden, begrüßte er mich mit Kamalian Ciranoush.«
»Ist das Persisch?« fragte
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