Hongkong 02 - Noble House Hongkong
erwiderte Dunross scharf. »Seit Jahren hat es keinen Fall von Kidnapping mehr in Hongkong gegeben – in Schanghai wird jeden Monat ein Mensch entführt! Die Verbrechensrate ist bei uns phantastisch niedrig – unsere Polizei leistet gute Arbeit – sehr gute Arbeit!«
»Ha«, Dianne rümpfte die Nase, »Sie sind alle korrupt. Wozu ist man Polizeibeamter, wenn nicht, um reich zu werden? Ich traue keinem von ihnen … Und was das Kidnapping angeht, wir hatten den letzten Fall vor sechs Jahren. Es war Fu San Sung, mein Vetter dritten Grades – die Familie mußte 600.000 Dollar zahlen, um ihn zurückzubekommen … es hätte sie beinahe ruiniert.«
»Pfff!« machte Philip Tschen. »Honigfresser Sung ruiniert? Unmöglich!« Honigfresser Sung war ein sehr reicher Schanghaier Reeder Mitte Fünfzig mit einer spitzen, langen Nase. Er führte den Spitznamen Honigfresser, weil er in Singapur, Bangkok, Taipeh und Hongkong von einem Tanzlokal zum anderen, von Blume zu Blume flatterte und seine Männlichkeit in eine Unzahl von Honigtöpfchen tauchte.
»Wenn ich mich recht entsinne, hat die Polizei den Großteil des Geldes wiederbeschafft, und die Verbrecher wurden zu zwanzig Jahren Zuchthaus verurteilt.«
»Ja, Tai-Pan, das stimmt. Aber sie haben Monate dazu gebraucht. Und ich möchte wetten, daß der eine oder andere Polizeibeamte mehr wußte, als er sagte.«
»Das ist blühender Unsinn!« gab Dunross zurück. »Es gibt keinen Grund, so etwas zu glauben. Überhaupt keinen Grund!«
»Völlig richtig!« sekundierte ihm Philip Tschen gereizt. »Man hat sie erwischt, Dianne.« Sie fixierte ihn, und sofort änderte er seinen Ton. »Selbstverständlich, Liebste, es kann schon sein, daß einige Polizeibeamte korrupt sind, aber hier sind wir doch sehr gut bedient, sehr gut bedient. Mich stört nur … das.« Er deutete angewidert auf die Schachtel. »Schrecklich! Und roh!«
»Ja«, stimmte Dunross ihm zu und legte sich die Frage vor, wenn es nicht Johns Ohr war, wessen Ohr war es dann? Wo bekommt man so schnell ein Ohr her? Beinahe hätte er gelacht. Dann fing er an zu überlegen, ob Johns Entführung irgendwie mit Tsuyan, den Gewehren und Bartlett zusammenhängen könnte.
Er blickte durch das Fenster auf das weite Panorama von Stadt und Meer. Der Himmel war klar, und es sah nicht nach Regen aus, von Westen her blies ein sommerlicher Monsun, und er fragte sich zerstreut, wie die Klipper ausgesehen haben mochten, als sie zur Zeit seiner Vorfahren vor dem Wind gesegelt waren oder gegen den Wind angekämpft hatten. Auf dem Berg oben hatte Dirk Struan insgeheim immer einen Ausguck stationiert. Der Mann konnte nach Süden und Osten und Westen sehen und auch den großen Sheung-Sz-Mun-Kanal überwachen, durch den die Schiffe von daheim, aus England, kamen. Von hier aus konnte er das einlaufende Postschiff ausmachen und hinuntersignalisieren. Dann schickte der Tai-Pan einen schnellen Kutter los, um die Post als erster in die Hand zu bekommen und so ein paar Stunden Vorsprung vor seinen Konkurrenten zu haben, Stunden, die den Unterschied zwischen Gewinn und Bankrott bedeuten konnten. Wir sind glückliche Menschen – wir brauchen nicht fast zwei Jahre auf Antwort zu warten, wie Dirk es tat. Mein Gott, was muß das für ein Mensch gewesen sein! Die Sache mit Bartlett darf nicht schiefgehen. Ich muß diese 20 Millionen haben.
»Das Deal sieht sehr gut aus, Tai-Pan«, sagte Philip Tschen, als ob er seine Gedanken gelesen hätte.
»Ja, ja, das tut es.«
»Wenn sie wirklich Bargeld auf den Tisch legen, verdienen wir alle ein Vermögen, und für Noble House wird es h’eung yau sein«, fügte er strahlend hinzu.
Wieder war es ein sardonisches Lächeln, das um Dunross’ Lippen spielte. H’eung yau bedeutete »Wohlriechendes Schmierfett« und bezog sich üblicherweise auf das Geld, das von allen chinesischen Restaurants, den meisten Geschäften, allen Spielhöllen, allen Tanzlokalen und allen Damen des horizontalen Gewerbes weltweit an die Triaden, an irgendeine Form von Triaden bezahlt wurde.
»Ich finde es immer noch erschütternd, daß überall, wo ein Chinese ein Geschäft betreibt, h’eung yau gezahlt wird.«
»Also wirklich, Tai-Pan«, erwiderte Dianne, als ob sie zu einem Kind spräche. »Wie kann ein Geschäft ohne Schutz existieren? Jeder gibt h’eung yau – in irgendeiner Form. Aber das Bartlett-Geschäft, Tai-Pan, glaubst du, wird es klappen?«
Dunross fixierte sie. Dianne, ging es ihm durch den Kopf, du kennst
Weitere Kostenlose Bücher