Hongkong 02 - Noble House Hongkong
keine Freiheit mehr.«
»Freiheit?« wiederholte der kleine Mann herausfordernd. »Was bedeutet Freiheit, wo China wieder China ist und den ihm gebührenden Platz in der Welt wieder eingenommen hat? Jetzt wird China von allen dreckigen Kapitalisten gefürchtet! Sogar von den revisionistischen Russen!«
»Ja. Ich gebe Ihnen recht. Dafür bin ich ihm dankbar. Aber wenn es Ihnen hier nicht gefällt, warum gehen Sie nicht nach Kanton zurück, in Ihr kommunistisches Paradies? Dew neh loh moh auf alle Kommunisten – und ihre Mitläufer!«
»Sie sollten selbst hinfahren und sich umsehen. Es ist nur Propaganda, daß der Kommunismus schlecht für China ist. Lesen Sie keine Zeitungen? Dort muß jetzt keiner mehr hungern.«
»Und wie steht es mit den 20 Millionen, die nach dem Sieg der Kommunisten ermordet wurden?«
»Alles nur Propaganda. Nur weil Sie, Inspektor, an englischen und kanadischen Privatschulen studiert haben, heißt das noch nicht, daß Sie zu ihnen gehören. Denken Sie an Ihr Volk! Es war ein Fehler Ihres Vaters, Sie ins Ausland zu schicken!« Es war allgemein bekannt, daß Brian Kwok, in Kanton geboren, im Alter von sechs Jahren nach Hongkong zur Schule geschickt wurde. Er war ein so guter Schüler, daß er 1937, mit zwölf Jahren, ein Stipendium für eine erstklassige Privatschule in England bekam, die 1939, nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, nach Kanada evakuiert wurde. Im Jahre 1942 hatte er als Vertrauensschüler und Primus seiner Klasse mit 18 Jahren das Abitur gemacht und war in die Royal Canadian Mounted Police eingetreten, wo er, der Kantonesisch, Mandarin und sei yap sprach, als Kriminalbeamter in Zivil im Chinesenviertel von Vancouver Dienst tat. Drei Jahre später hatte er um Versetzung zur Royal Hongkong Police nachgesucht. Mit der zögernden Zustimmung der RCMP, die ihn liebend gern behalten hätte, war er zurückgekehrt.
»Sie verschwenden Ihre Zeit, wenn Sie sich für die abrackern, Brian«, fuhr Dr. Meng fort. »Sie sollten den Massen dienen und für die Partei arbeiten!«
»Die Partei hat 1943 meine Eltern und den größten Teil meiner Familie ermordet.«
»Dafür gab es keine Beweise! Niemals. Es war alles nur ein Gerücht. Vielleicht haben es die Teufel der Kuomintang getan – oder Triaden – wer kann das wissen? Wie können Sie so sicher sein?«
»Bei Gott, ich bin sicher.«
»Hat es einen Zeugen gegeben? Nein! Das haben Sie mir selbst gesagt!« schnarrte Dr. Meng. »Sie sind Chinese! Stellen Sie Ihre Bildung in den Dienst der chinesischen Massen, und nicht der kapitalistischen Paschas!«
»Sonst noch was?«
Dr. Meng lachte. »Warten Sie nur, Herr Inspektor Karshun Kwok! Eines Tages werden auch Ihnen die Augen aufgehen. Eines Tages werden auch Sie die Wahrheit erkennen.«
»Bis dahin möchte ich von Ihnen ein paar Angaben haben, mit denen ich was anfangen kann!« Brian Kwok verließ das Laboratorium und ging den Gang zum Aufzug hinunter. Das Hemd klebte ihm am Rücken. Wenn es nur regnen wollte, dachte er.
Er betrat den Aufzug. Andere Polizeibeamte begrüßten ihn, und er erwiderte ihren Gruß. Im dritten Stock stieg er aus und marschierte den Gang zu seinem Büro hinauf. Armstrong erwartete ihn schon. »Tag, Robert«, sagte er, erfreut, ihn zu sehen.
»Was gibt es Neues?«
»Nichts. Und bei dir?«
Brian Kwok berichtete ihm von Dr. Mengs Untersuchungen.
»Dieser kleine Scheißer und sein ›möglicherweise‹! Mit Bestimmtheit spricht er nur von einer Leiche – und selbst dann muß er zweimal nachschauen.«
»Jawohl – oder über den Großen Vorsitzenden. Ich habe ihm geraten, nach China zurückzukehren.«
»Das tut er nie.«
»Ich weiß.« Brian starrte auf den Stoß Papiere in seinem Ablagekorb und seufzte. »Es paßt einfach nicht zu unseren Leuten, so bald ein Ohr abzuschneiden. Ich glaube, sie haben ihn um die Ecke gebracht.«
»Aber warum?«
»Vielleicht hat Tschen versucht zu fliehen oder sich zur Wehr zu setzen. Vielleicht sind die oder der Entführer in Panik geraten, und bevor sie noch wußten, was geschah, haben sie zugestochen und ihn mit einem stumpfen Instrument niedergeschlagen. Wie auch immer, alter Freund: Unser großer weißer Vater wünscht, daß wir die Sache raschestens aufklären. Er hat mich mit einem Anruf beehrt, um mir mitzuteilen, daß der Gouverneur ihn höchstpersönlich angerufen hat, um ihm seine Sorge auszudrücken.«
Brian Kwok fluchte leise. »Schlechte Nachrichten erfährt man bald. Ist schon was in den
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