Hongkong 02 - Noble House Hongkong
rauchgeschwängerte Luft war heiß und drückend. Er wartete.
»Was meinst du, Jüngerer Bruder?«
Die beiden Männer waren nicht miteinander verwandt, gebrauchten jedoch, da sie einander seit mehr als fünfzehn Jahren vertrauten, die chinesischen Höflichkeitsformen. Bei den Krawallen im Jahre 1956 hatte Lee seinem Vorgesetzten das Leben gerettet. Er war jetzt fünfunddreißig, und seine Tapferkeit hatte ihm eine Medaille eingetragen. Er war verheiratet und hatte drei Kinder. Seit sechzehn Jahren war er bei der Polizei, und sein ganzer Lohn belief sich auf 843 HK im Monat. Er fuhr mit der Straßenbahn zum Dienst. Hätte die Bruderschaft seine Bezüge nicht aufgebessert, er hätte zu Fuß gehen oder mit dem Rad fahren müssen. Mit der Straßenbahn brauchte er zwei Stunden.
»Ich finde, die Idee ist sehr schlecht«, äußerte er nachdenklich. »Drogen, ganz gleich welche, das ist obermies, ja, das ist richtig beschissen. Opium ist vielleicht gut für alte Leute, aber das weiße Pulver, Kokain, das ist sauschlecht, wenn auch nicht so schlecht wie die Todesspritzen. Mit Todesspritzen Geschäfte zu machen, wäre schlechter Joss. Wirst du ihm gehorchen?«
»Was für einen Bruder gut ist, sollte für alle gut sein«, erwiderte Tangpo und vermied so eine klare Antwort.
Wieder wartete Lee. Er wußte nicht, wie ein Drache gewählt wurde, wie viele genau es gab, und wer der oberste Drache war. Er wußte nur, daß Tangpo ein Drache war, ein weiser Mann, dem ihre Interessen am Herzen lagen.
»Er hat auch gesagt, der eine oder andere unserer fremden Teufel von Vorgesetzten sei mit seinem Spenden-Anteil der Spielhöllen nicht zufrieden.«
Lee spuckte angewidert aus. »Was tun diese Hurenböcke für ihren Anteil? Nichts. Ihre Scheißaugen schließen sie, das ist alles. Ausgenommen die Schlange.« Das war der Spitzname von Chief Inspector C. C. Smyth, der seinen Bezirk Ost-Aberdeen ganz offen organisiert hatte und auf allen Ebenen, vor seinen chinesischen Untergebenen, Gefälligkeiten und Protektion verkaufte.
»Ach der! Den sollte man in ein Kanalloch stopfen, diesen Flegel! Seine Oberen, die er bezahlen muß, werden seinen fauligen Gestank bald nicht mehr vertuschen können.«
»In zwei Jahren müßte er in Pension gehen«, sagte Lee geheimnisvoll. »Vielleicht zeigt er ihnen bis dahin einfach den Hintern. Was können sie denn schon gegen ihn tun? Er soll sehr einflußreiche Freunde haben, heißt es.«
»Und?«
Lee seufzte. »Ich muß dir raten, vorsichtig zu sein, Älterer Bruder, und, wenn es sich vermeiden läßt, nicht einzusteigen. Wenn es sich nicht vermeiden läßt …« Er zuckte die Achseln. »Joss. Ist es schon entschieden?«
»Nein, noch nicht. Bei unserer wöchentlichen Zusammenkunft wurde davon gesprochen. Man sollte darüber nachdenken.«
»Ist man an die Dreierbande herangetreten?«
»Soviel ich weiß, hat Weißes Pulver Lee das getan, Jüngerer Bruder. Wie es scheint, wollen sich die drei gemeinsam anschließen und ich wette, der alte Vierfinger Wu wird oberster Tiger sein.«
»Der? Er soll eigenhändig fünfzig Menschen ermordet haben«, gab Lee zu bedenken.
Die Gefahr ließ ihn frösteln. »Die müssen an die dreihundert Schläger in ihren Diensten haben. Es wäre für uns alle besser, wenn die drei nicht mehr lebten – oder hinter Gittern säßen.«
»Gewiß. Aber nun sagt Weißes Pulver Lee, daß sie expandieren wollen, daß sie uns als Gegenleistung für eine bescheidene Zusammenarbeit gigantische Gewinne garantieren können.« Tangpo wischte sich den Schweiß von der Stirn, hustete und zündete sich eine frische Zigarette an. »Hör zu, Jüngerer Bruder«, sagte er leise, »er schwört, man hätte ihnen eine sehr große Summe geboten, amerikanisches Geld, und einen riesigen Einzelhandelsmarkt in dieser Stadt, die sie Manhattan nennen.
Und dabei gäbe es für uns nur sehr wenig zu tun. Bloß die Augen zumachen und dafür sorgen, daß Marine und Rauschgiftdezernat nur bestimmte Ladungen konfiszieren und auch sie die Augen schließen, wenn man es ihnen sagt. Steht es nicht geschrieben in den alten Büchern: Wenn du nicht melkst, wird dich der Blitz treffen?«
Wieder Schweigen. »Wann wird die Entscheidung … wann soll es beschlossen werden?«
»Nächste Woche. Wenn sie es beschließen … na ja, dann wird es Monate dauern, vielleicht sogar ein Jahr, bis der Warenfluß organisiert ist.« Tangpo warf einen Blick auf die Uhr und stand auf. »Zeit für unser Duschbad. Nachtzeit Song hat uns
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