Honig
an das kommunistische Ideal hatten erschüttern lassen. Anwesend war auch, auf Weisung Stalins und gegen seinen Willen, der große russische Komponist Dimitri Schostakowitsch. Zu den Delegierten auf amerikanischer Seite zählten Arthur Miller, Leonard Bernstein und Clifford Odets. Diese und andere Berühmtheiten standen einer amerikanischen Regierung, die von ihren Bürgern verlangte, einen noch vor kurzem unschätzbaren Verbündeten als gefährlichen Feind zu behandeln, kritisch oder misstrauisch gegenüber. Viele hielten die marxistische Analyse trotz der chaotischen Entwicklung der Ereignisse immer noch für zutreffend. Zumal diese Ereignisse von der [346] amerikanischen Presse, die in den Händen gieriger Konzerne war, grob verzerrt dargestellt wurden. Wenn die Politik der Sowjets etwas grobschlächtig oder aggressiv wirkte, wenn sie ihre inneren Kritiker ein wenig unter Druck setzte, so musste man das als Verteidigungsmaßnahme sehen, da der Westen der Sowjetunion von Anfang an feindselig gegenübergestanden und sie nach Kräften sabotiert hatte.
Kurz und gut, sagte Pierre, die ganze Veranstaltung war ein Propaganda-Coup des Kremls. Der Kreml hatte sich in der Kapitale des Kapitalismus eine Bühne geschaffen, auf der er als Stimme des Friedens und der Vernunft, wenn nicht gar der Freiheit, auftreten konnte, und er hatte Scharen prominenter Amerikaner auf seiner Seite.
»Aber!« Pierre hob einen Arm, wies mit starrem Zeigefinger nach oben und bannte uns alle sekundenlang mit seinem theatralischen Schweigen. Weit oben, fuhr er dann fort, in einer Luxussuite im zehnten Stock des Hotels, hatte sich eine subversive Freiwilligenarmee versammelt, eine von dem Philosophen Sidney Hook zusammengetrommelte Schar von Intellektuellen, zumeist nichtkommunistische Linke, demokratisch gesinnte Ex-Kommunisten oder Ex-Trotzkisten, die fest entschlossen waren, die Konferenz zu stören und auch nicht zuzulassen, dass die extreme Rechte das Monopol der Kritik an der Sowjetunion an sich riss. Über Schreibmaschinen, Vervielfältigungsapparate und eigens installierte Telefone gebeugt, hatten sie, gestärkt durch reichlich Snacks und Alkoholika vom Zimmerservice, die ganze Nacht hindurch gearbeitet. Ihr Plan war, die Konferenz unten zu sprengen, was sie durch unangenehme Zwischenfragen im Plenum, insbesondere zur Freiheit der [347] Kunst, und eine Flut von Presseerklärungen erreichen wollten. Auch sie konnten sich auf gewichtige, sogar noch beeindruckendere Unterstützer berufen. Mary McCarthy, Robert Lowell, Elizabeth Hardwick sowie aus der Ferne internationale Berühmtheiten wie T. S. Eliot, Igor Strawinsky, Bertrand Russell und viele andere.
Die Gegenveranstaltung wurde zum Erfolg, sie schaffte es, die Medien auf ihre Seite zu ziehen und die Schlagzeilen zu dominieren. Alle wichtigen Fragen wurden in die Konferenz hineingeschleust. Schostakowitsch wurde nach seiner Meinung zu einem Artikel in der Prawda gefragt, in dem Strawinsky, Hindemith und Schönberg als »dekadente bürgerliche Formalisten« verunglimpft wurden. Der große russische Komponist erhob sich langsam von seinem Sitz, murmelte seine Zustimmung zu dem Artikel und offenbarte damit seine klägliche Lage, eingeklemmt zwischen seinem Gewissen und der Angst vor dem Zorn seiner KGB -Aufpasser und vor dem, was Stalin mit ihm machen würde, wenn er nach Hause kam.
Zwischen den Sitzungen lernte Pierre, der in der Suite oben mit Schreibmaschine und Telefon in einem Winkel neben dem Bad hockte, die Kontaktleute kennen, die sein Leben verändern sollten, die ihn am Ende dazu brachten, seine Professur aufzugeben und sich ganz der CIA und dem Krieg der Ideen zu verschreiben. Denn selbstverständlich war es die CIA , die als Geldgeberin hinter der Gegenveranstaltung steckte und dabei gleichzeitig lernte, wie effektiv dieser Krieg sozusagen aus dem Hinterhalt von Schriftstellern, Künstlern und Intellektuellen geführt werden konnte – viele von ihnen Linke, deren politische Überzeugungen auf [348] bittere Erfahrungen mit den Verführungskünsten und falschen Versprechungen des Kommunismus zurückgingen. Was sie brauchten, selbst wenn sie es nicht wussten, konnte die CIA ihnen zur Verfügung stellen: Organisation, Struktur und vor allem Geldmittel. Das sollte sich noch als wichtig erweisen, als man die Operationen auf London, Paris und Berlin ausweitete. »Es kam uns sehr entgegen, dass in den frühen Fünfzigern alle in Europa schlecht bei Kasse waren.«
So wurde Pierre, in
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