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Honig

Honig

Titel: Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
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seinen eigenen Worten, zu einer anderen Art von Soldat, der an manchem neuen Feldzug im befreiten, aber bedrohten Europa teilnahm. Eine Zeitlang arbeitete er mit Michael Josselson zusammen, und später war er mit Melvin Lasky befreundet, bis die beiden sich überwarfen. Pierre war beim Kongress für Kulturelle Freiheit dabei, schrieb auf Deutsch Artikel für die angesehene, von der CIA finanzierte Zeitschrift Der Monat und war hinter den Kulissen an der Gründung von Encounter beteiligt. Er lernte die heikle Kunst, das Ego intellektueller Primadonnen zu streicheln, organisierte Tourneen amerikanischer Ballettensembles und Orchester, Ausstellungen moderner Kunst und über ein Dutzend Konferenzen, die, wie er sich ausdrückte, »das gefährliche Terrain« besetzten, »auf dem sich Politik und Literatur begegnen«. Als 1967 die Zeitschrift Ramparts enthüllte, dass Encounter von der CIA finanziert wurde, habe ihn die Hitzigkeit und Naivität der Reaktionen darauf doch sehr überrascht, sagte er. Waren die Argumente gegen den Totalitarismus denn nicht rational und respektabel, konnten nicht auch Regierungen sie sich zu eigen machen? Hier in Großbritannien habe sich kein Mensch jemals daran gestört, dass das Außenministerium [349] den BBC World Service finanziere, eine hochangesehene Institution. Und das sei auch Encounter nach wie vor, trotz allem Gezeter und Nasezuhalten und aller gespielten Überraschung. Apropos Außenministerium, da wolle er nicht vergessen, der Arbeit der Leute vom IRD Lob zu zollen. Besonders was sie zur Förderung von Orwells Werken getan hatten, bewundere er, und ihm gefalle die Diskretion, mit der sie Verlage wie Ampersand und Bellman Books finanzierten.
    Welche Erkenntnisse hatte er nach fast dreiundzwanzig Jahren Arbeit auf diesem Gebiet gewonnen? Zweierlei. Der erste Punkt war der wichtigere. Der Kalte Krieg war nicht vorbei, egal was man in der Öffentlichkeit behauptete, und daher war es weiterhin lebenswichtig und ehrenwert, sich für die Freiheit der Kultur einzusetzen. Zwar waren nicht mehr allzu viele übrig, die offen für die Sowjetunion schwärmten, aber es gab immer noch ein ungeheures, eisiges intellektuelles Hinterland, wo man träge an der neutralistischen Position festhielt, die Sowjetunion sei auch nicht schlimmer als die USA . Dem müsse man entgegentreten. Zu seinem zweiten Punkt zitierte er eine Bemerkung eines alten CIA -Freundes, des späteren Rundfunksprechers Tom Braden, wonach die USA als einziges Land auf der Welt nicht begriffen, dass manche Dinge besser funktionieren, wenn sie klein sind.
    Dies wurde von den Vertretern unseres unterfinanzierten Dienstes in dem überfüllten Raum mit beifälligem Gemurmel quittiert.
    »Unsere eigenen Projekte sind zu groß geworden, zu zahlreich, zu vielfältig, ehrgeizig und verschwenderisch [350] ausgestattet. Uns ist das Fingerspitzengefühl abhandengekommen, und unserem Anliegen dabei auch seine Frische. Wir sind überall, wir gehen zu wenig subtil vor, wir sorgen für Verstimmung. Ich weiß, Sie haben hier selbst etwas Neues angepackt. Ich wünsche Ihnen Glück dabei, aber mal im Ernst, immer schön kleine Brötchen backen!«
    Pierre, falls er denn so hieß, stand nicht für Fragen zur Verfügung. Kaum war er fertig, bedankte er sich mit knappem Nicken für den Applaus und ließ sich von Peter Nutting zur Tür begleiten.
    Während der Raum sich leerte, wobei die untergeordneten Ränge automatisch die Nachhut bildeten, wartete ich bang auf den Moment, da Max sich umdrehen, mir in die Augen sehen und herüberkommen würde, um mir zu sagen, dass wir reden müssten. Rein dienstlich, natürlich. Als ich dann aber in der zur Tür hinausdrängenden Menge seinen Rücken und seine großen Ohren sah, überkam mich eine Mischung aus Bestürzung und altbekannten Schuldgefühlen. Ich hatte ihn so sehr verletzt, dass er nicht mehr mit mir reden konnte. Was für eine schreckliche Vorstellung. Wie üblich versuchte ich mich hinter Empörung zu verschanzen. Ausgerechnet von ihm hatte ich mir vorwerfen lassen müssen, Frauen könnten Arbeit und Privatleben nicht auseinanderhalten. War es denn meine Schuld, dass er plötzlich mich wollte und nicht mehr seine Verlobte? Den ganzen Weg hinunter – ich nahm die Treppe, um nicht mit Kollegen im Aufzug reden zu müssen – rechtfertigte ich mich vor mir selbst und fuhr auch den ganzen Tag am Schreibtisch damit fort. Hatte ich vielleicht einen Aufstand gemacht und Max unter Tränen angefleht, als er

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