Honig
schön«, sagte er. »Lassen wir’s.«
Ich gab ihm das Blatt und ging ins Schlafzimmer, um mich ein wenig hinzulegen, während er sich von der Auskunft die Nummer der Press Association geben ließ und dann seine Erklärung durchgab. Zu meinem Entsetzen hörte ich ihn fast wörtlich den Satz diktieren, den wir gerade gestrichen hatten.
»Und lassen Sie mich eins klarstellen. Ich hatte in meinem ganzen Leben niemals Kontakt zu Mitarbeitern des MI 5.«
Ich setzte mich auf, wollte nach ihm rufen, aber es war zu spät. Ich sank in die Kissen zurück. Ich hatte es satt, ständig an dasselbe zu denken. Sag es ihm. Bring’s endlich hinter dich. Nein! Bloß nicht! Die Ereignisse überstürzten sich, entglitten mir, ich wusste nicht mehr weiter. Ich hörte ihn den Hörer auflegen und zum Schreibtisch zurückgehen. Minuten später tippte er wieder. Wie erstaunlich und wunderbar diese Fähigkeit, sich so völlig zu konzentrieren und sich von jetzt auf gleich in eine Phantasiewelt zu stürzen. Ich blieb auf dem ungemachten Bett liegen, antriebslos, bedrückt von der Gewissheit, dass in der nächsten Woche alles zusammenbrechen würde. Im Büro würde man mir die Hölle heißmachen, selbst wenn der Guardian -Artikel folgenlos bleiben sollte. Was eigentlich ausgeschlossen war. Es konnte nur schlimmer werden. Ich hätte auf Max hören sollen. Natürlich konnte es sein, dass der Verfasser des Artikels bloß das wusste, was er geschrieben hatte. Aber falls er doch mehr wusste, und ich enttarnt wurde, [401] dann… dann sollte ich es Tom sagen, bevor er es aus der Zeitung erfuhr. Das schon wieder. Ich rührte mich nicht. Ich konnte es einfach nicht.
Nach vierzig Minuten verstummte die Schreibmaschine. Fünf Minuten später knarrten die Dielen, und Tom kam herein. Er hatte sein Jackett an, setzte sich neben mich aufs Bett und gab mir einen Kuss. Er könne nicht mehr stillsitzen, sagte er. Seit drei Tagen habe er die Wohnung nicht mehr verlassen. Ob ich ihn zur Strandpromenade begleiten wolle, und ob er mich zum Lunch bei Wheeler’s einladen dürfe? Balsam für meine Seele, sofort vergaß ich alles andere. Ich zog meinen Mantel an, und schon waren wir aus dem Haus und gingen Arm in Arm den Hügel hinunter in Richtung Ärmelkanal, als sei dies ein unbeschwertes Wochenende wie jedes andere. Solange ich mich mit ihm in der Gegenwart verlieren konnte, fühlte ich mich sicher. Auch half mir Toms beschwingte Stimmung. Er schien zu denken, mit seiner Erklärung an die Presse sei das Problem gelöst. Auf der Promenade wandten wir uns nach Osten, zu unserer Rechten wogte und schäumte, von einem frischen Nordwind aufgepeitscht, die graugrüne See. Wir gingen an Kemp Town vorbei und durch ein Gewühl von Demonstranten hindurch, die mit Transparenten gegen den geplanten Bau eines Yachthafens protestierten. Uns beiden war das vollkommen gleichgültig. Als wir zwanzig Minuten später wieder an derselben Stelle vorbeikamen, hatte die Demonstration sich aufgelöst.
Da sagte Tom: »Ich glaube, wir werden verfolgt.«
Das gab mir einen Stich in den Magen, kurz dachte ich, er wisse alles und verhöhne mich. Aber er meinte es ernst. [402] Ich drehte mich um. Der kalte Wind hatte fast alle Spaziergänger vertrieben. Ich sah nur eine einzige Gestalt, in mindestens zweihundert Meter Entfernung.
»Der da?«
»Er trägt einen Ledermantel. Ich hab ihn vorhin schon gesehen, als wir aus dem Haus sind, da bin ich mir sicher.«
Wir blieben stehen und warteten, dass der Mann uns einholte, doch er verschwand sogleich in einer Seitenstraße, die von der Promenade wegführte. Auf einmal schien uns die Sorge, ob wir im Restaurant um diese Zeit noch etwas zu essen bekämen, drängender, und so eilten wir zurück in die Lanes, setzten uns an unseren Tisch, bestellten das »Übliche«, als Hauptgang dann gegrillte Rochenflügel und dazu Chablis, und zum Abschluss ein Schälchen widerlich süße Weincreme.
Als wir aus dem Restaurant kamen, streckte Tom die Hand aus und sagte: »Da ist er«, aber ich sah nur eine leere Straßenkreuzung. Er löste sich von mir, lief hin, blieb stehen und stemmte ratlos die Hände in die Hüften: Offenbar war da niemand zu sehen.
Jetzt war unsere oberste (und dringlichste) Priorität, in die Wohnung zurückzukehren und uns zu lieben. Tom war wilder denn je und so ekstatisch, dass ich nicht wagte, ihn deswegen aufzuziehen. Nicht dass mir danach gewesen wäre. Mir blies schon der eisige Wind der kommenden Woche entgegen. Morgen
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